Vom Zimmer des Intendanten aus, wo das musikalische Rätselraten stattfindet, bietet sich ein einzigartiger Blick auf das klassizistische Gebäude des Opernhauses Zürich. Seit 2012 wirkt Fabio Luisi hier als Generalmusikdirektor. Ein Jahr zuvor war er zum Chefdirigenten an der Metropolitan Opera in New York ernannt worden. Der 58-jährige Genuese, dessen künstlerische Schwerpunkte auf der italienischen Oper und dem spätromantischen Repertoire liegen, ist nicht ein Mann der ausufernden Rede. Aber was er mit Bedacht sagt, hat Hand und Fuß.
Puccini: Bimba dagli occhi aus „Madama Butterfly“
Angela Gheorghiu, Jonas Kaufmann, Antonio Pappano (Leitung)
Warner Classics 2009
Ich kann die Sänger nicht identifizieren, aber es sind sehr gute Interpreten. Der Tenor singt für diese Rolle eine Spur zu dramatisch, es ist nicht unbedingt eine italienische Stimme. Es könnte Jon Vickers sein. Die Sopranistin hat eine sehr schöne Stimme, manchmal etwas zu tief. Ich tippe auf eine ältere Aufnahme. Der Dirigent ist gut, sehr solide, sehr traditionsbewusst. Er neigt ein bisschen zum Pathetischen. Ich stelle mir diese Szene zwischen Butterfly und Pinkerton etwas objektiver vor, insbesondere zu Beginn. Aber insgesamt finde ich es eine gute Aufnahme … Aha, Kaufmann und Gheorghiu? Er ist, wie gesagt, zu dramatisch, sie ist über ihren Zenit hinaus.
Bruckner: Sinfonie Nr. 7, 4. Satz
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Mariss Jansons (Leitung)
BR-Klassik 2009
Celibidache ist es nicht (lacht)! Für mich ist es etwas zu schnell. Der Beginn hat mir gut gefallen. Die rhythmische Präzision war nicht ganz das, was ich mir vorstelle. Was mich enttäuscht, ist das Seitenthema, das ist viel zu schnell und lieblos herunterdirigiert, und es hat auch im Orchester nicht genug Kultur und Süße. Ich weiss nicht, wer es ist, da gibt es zu viele Aufnahmen dieser Bruckner-Sinfonie. Was, Jansons mit dem BR-Orchester? Das wundert mich, denn das ist ein hervorragender Klangkörper. Aber das hier klingt zu sportlich. Jansons ist ein ausgezeichneter Dirigent, aber vielleicht ist Bruckner nicht seine Stärke, zumindest nicht in diesem Satz.
Wagner: Heil Siegfried, teurer Held! aus „Götterdämmerung“
Stephen Gould (Siegfried), Ralf Lukas (Gunther), Christian Thielemann (Leitung)
Opus Arte 2008
Das ist die Ankunft Siegfrieds in der Gibichungenhalle aus der „Götterdämmerung“. Der Siegfried gefällt mir nicht. Der ist hörbar überfordert. Gunther singt gut, prägnant, aber seine Intonation lässt manchmal etwas zu wünschen übrig. Das Orchester spielt für mich etwas zu schwammig. Gerade diese Begrüßungsszene, die sehr streng daherkommt, erfordert eine große rhythmische Präzision. Wer sind die Sänger? Ist der Tenor Siegfried Jerusalem? … Aha, Stephen Gould. Das ist ein guter Mann, sehr solide, aber nicht die Stimme, die ich mir hier vorstelle. Die Besetzung des Siegfried stellt heutzutage für alle Opernhäuser ein Problem dar. Es gibt im Moment keinen idealen Rollenträger. Gould ist dennoch einer der besseren, ich habe die Götterdämmerung mit ihm an der Met gemacht. Wer dirigiert eigentlich? Was, Thielemann (zeigt sich überrascht)?! Das Orchester klingt ein bisschen schwammig, zu wenig prägnant.
Ravel: Danse générale – Bacchanale aus „Daphnis et Chloé“
Orchestre de l’Opéra National de Paris, Philippe Jordan (Leitung)
Erato 2015
Das ist mir alles viel zu sehr buchstabiert, es ist zu langsam, und es fehlt dieses orgiastische Element, was bei diesem Abschnitt gefordert ist. Diese Steigerungen, die wir da gehört haben, mögen rhythmisch präzis sein, aber das Tempo ist zu träge und der Charakter zu bieder. Als Bacchanale nehme ich das dem Dirigenten nicht ab … Das ist Philippe Jordan? Das wundert mich, denn Philippe ist ein sehr talentierter Dirigent. Aber in dieser Einspielung fehlt es vollkommen an Sinnlichkeit. Der Dirigent lässt sich nicht gehen, deshalb kommt diese orgiastische Steigerung nicht richtig zustande. Nehmen wir die Stelle mit den Pizzicati: Wenn die einfach so todsicher kommen und nicht eine Linie nach vorne haben, dann ist einfach alles nur ausgesprochen, aber es hat kein Leben. Jordan ist noch jung, ich kenne ihn gut. Er ist ja mein Nachfolger bei den Wiener Symphonikern. Vielleicht traut er sich noch nicht richtig. Vor lauter Kontrolle lässt er sich selber nicht gehen.
Verdi: Ritorna vincitore! aus „Aida“
Cristina Gallardo, Wiener Philharmoniker, Nikolaus Harnoncourt (Leitung)
Teldec 2001
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Eine großartige Sängerin in der italienischen Tradition! Das ist Gallardo? Die singt wirklich sehr gut. Der Dirigent ist okay, vielleicht ein bisschen schwankend in den Temporelationen, die stimmen nicht immer. Vieles ist etwas willkürlich. Das ist kein Dirigent, der in der italienischen Tradition beheimatet ist, es ist auch kein ausgesprochener Operndirigent. Man merkt, dass er das nicht gut kennt … Aha, Harnoncourt? Er reagiert nicht auf die Sängerin. Sie gibt sehr viele Impulse, aber er macht nichts daraus. Es fehlt die Vertrautheit mit der Oper.
R. Strauss: Gewitter und Sturm, Abstieg aus „Eine Alpensinfonie“
Anja Harteros, Staatskapelle Dresden, Fabio Luisi (Leitung)
Sony Classical 2007
Das ist auf jeden Fall ein Orchester, welches das Stück gut kennt. Der Dirigent verhält sich meiner Meinung nach zu passiv. Er lässt das Orchester gehen, dadurch wird das Tempo mit der Zeit langsamer. Der Dirigent bringt das, was in dieser Musik steckt, überhaupt nicht heraus. Die rhythmische Prägnanz, die in dieser Gewitterszene sehr wichtig ist, fehlt vollkommen. Es fehlen mir die Akzente, beispielsweise in den Posaunen, in den Trompeten, in der Pauke … Die Streicher sind schlampig … Alles ist eingebettet, und es klingt breiig, was eben gerade hier nicht passt. Das ist nicht meine bevorzugte Aufnahme … Was, das bin ich?! Das würde ich heute ganz anders machen. Ich habe mich in dieser Zeit wahrscheinlich verändert. Und ich muss dazu noch sagen, dass wir diese Aufnahme der Alpensinfonie gemacht haben, bevor wir mit dem Stück auf Tournee gegangen sind, und nicht umgekehrt. Ich kann mich an Konzerte mit der Staatskapelle erinnern, die wesentlich besser waren als das hier. Diese Aufnahme war der erste Kontakt zwischen dem Orchester und mir.
Bellini: Ah! Crudel!“ aus „I Capuleti e i Montecchi“
Vivica Genaux, Valentina Farcas, Europa Galante, Fabio Biondi (Leitung)
Glossa 2015
Das ist eine merkwürdige Aufnahme. Das Gleichgewicht zwischen den beiden Stimmen stimmt nicht. Die Mezzosopranistin hat eine hellere Stimme als die Sopranistin. Das sollte umgekehrt sein, denn der Mezzosopran verkörpert ja Romeo, die Sopranistin Julia. Bellini hat sich Giulietta als lyrischen Sopran und die Travestierolle des Romeo als dunklere Stimme gedacht. Die Stimme der Sopranistin gefällt mir, jene der Mezzosopranistin nicht besonders … Das sind Farcas und Genaux? Mit Vivica Genaux habe ich schon zusammengearbeitet. Das Orchester ist sehr flach, es liefert keine Impulse. Das ist kein Bellini, es hat keine Süße. Insgesamt finde ich die Aufnahme nicht besonders ansprechend.
Honegger: Sinfonie Nr. 3, 1. Satz
Danish National Radio Symphony Orchestra, Neeme Järvi (Leitung)
Chandos 1993
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Eine sehr gute Einspielung! Sehr genau das, was in dieser Sinfonie drinsteckt. Es ist prägnant, rhythmisch präzise, es gibt starke Akzente. Das gefällt mir gut. Ich habe die Sinfonie auch aufgenommen … Das ist Järvi? Ich habe ihn nicht mehr gekannt.
Beethoven: Gloria aus „Missa solemnis“
Lucy Crowe, Jennifer Johnson, Orchestre Révolutionnaire et Romantique, John Eliot Gardiner (Leitung)
Soli Deo Gloria 2013
Ich finde diese Aufnahme nicht besonders gut. Die Trompeten sind zu stark. Es wird zu sehr auf Effekt dirigiert. Alles ist so laut und grell, aber dieses Gloria hat nicht wirklich einen solchen Charakter. Wenn die Trompeten lauter sind als der Chor, dann stimmt etwas nicht. Vielleicht ist es eine Live-Aufnahme … Aha, das Orchestre Révolutionnaire et Romantique mit Gardiner? Dann ist es absichtlich so grell gemacht. Aber schön ist es trotzdem nicht. Das tragende Element sollte der Chor sein. Aber hier knallt das Blech da einfach rein, das hat für mich keine Kultur. Ich vermisse den Sound des Chores, auch singt er manchmal etwas schlampig. Alles ist nur auf Effekt und Lautstärke gemacht.
Rossini: Dunque io son aus „Il Barbiere di Siviglia“
Marilyn Horne, Leo Nucci, Paolo Barbacini, Riccardo Chailly (Leitung)
Sony Classical 1990
Gute Koloraturen, beeindruckend! Die Stimme der Mezzosopranistin geht ein bisschen in die Breite, das mag ich nicht besonders. Der Fokus ihrer Stimme ist nicht ganz vorne, sondern etwas weiter hinten, was zwar ein besseres Singen der Koloraturen ermöglicht, aber auch diese Wirkung von Breite erzeugt. Der Bariton klingt etwas leicht, meiner Meinung nach zu hell für den Figaro. Das Orchester ist okay, aber nichts Besonderes. Ist es eine Live-Aufnahme? … Ah, Marilyn Horne und Leo Nucci? Na, was! Ich habe mit Leo so oft zusammengearbeitet, auch den Barbiere etliche Male gemacht. Das muss eine ältere Aufnahme sein. So hat er angefangen. Damals war seine Stimme noch sehr hell; mit der Zeit ist sie dann dunkler, kerniger geworden. In diesem Duett hört man allerdings nicht so viel; bei der Arie hätte ich ihn wahrscheinlich erkennen können. Wer ist der Dirigent? Chailly? Er ist ein toller Dirigent, aber kein Rossini-Spezialist.