Er ist geboren in Südafrika und aufgewachsen in England (wo seine Mutter Assistentin von Yehudi Menuhin war). Er ist irischer Staatsbürger mit Vorfahren aus Berlin und Wohnsitz in Hamburg – und fast dauernd auf Reisen. Daniel Hope, Jahrgang 1974, ist einer der gefragtesten Geiger der Welt und auch ein erfolgreicher Buchautor. Zwischen einem Rundfunkinterview und seinem Abflug zur nächsten Konzertreise treffen wir uns auf eine Stunde in einem Aufnahmestudio des NDR. Hope kommentiert schon während des Hörens.
Telemann: Fantasia 4 D-Dur TWV 40:17 & Fantasia 5 A-Dur TWV 40:18
Rachel Podger (Violine) 2002
Channel Classics
Das ist gespielt auf Darmsaiten. Es könnte Telemann sein, es erinnert mich an sein a-Moll-Konzert. Ich habe das Gefühl, es hat etwas gedauert, bis er oder sie in die Phrasierungen reingekommen ist. Manchmal klingt es fast wie eine Bratsche, das mag ich. (Fantasia 5) Das gefällt mir nicht so gut. Barockmusik hat so viele Facetten, ist so sprechend. Hier hätte man allein in den ersten zwei Takten so viel zu sagen. Aber mir fehlt das Dialogische, die Polyphonie, die du brauchst, wenn du allein spielst. Können wir den Anfang noch mal hören? Ja, da fehlt die Stimme. Das war die Einleitung. Und jetzt muss es abgehen. Nein, das ist mir zu brav. Ich finde es gerade so toll an Barockmusik, dass sie nicht brav ist. Sie ist absolut explosiv. Das fehlt mir hier. Auch wenn es sauber und wunderbar gespielt ist. Das ist ein tolles Stück, muss ich sagen. Ich liebe Telemann, der wird gewaltig unterschätzt. Aber die Fantasien kenne ich nicht. Rachel Podger? Das wundert mich. Ihre Aufnahme von Vivaldis La Stravaganza ist phantastisch, da gibt’s nichts Besseres. Aber das gefällt mir nicht so. Mit Concerto Köln und l’arte del mondo spiele ich auch immer wieder auf reinen Darm-a- und e-Saiten. Und ich möchte die Erfahrung nicht missen, das Beethoven-Konzert auf Darmsaiten gespielt zu haben. Das war eine sensationelle Entdeckung für mich. Aber die umsponnenen Saiten sind doch flexibler und leiden nicht unter den Temperaturschwankungen. Allerdings benutze ich immer einen Barockbogen, das macht einen Riesenunterschied. Damit ist man automatisch in eine andere Welt versetzt. Ich spiele viel Barock, ich liebe das.
Mendelssohn: Violinkonzert, 1. Satz
Yehudi Menuhin (Violine), Orchestre des Concerts Colonne, George Enescu (Leitung) 1938
Naxos Historical
Das ist Menuhin mit Enescu und dem Orchestre des Concerst Colonne. Ich kenne fast jede Aufnahme von ihm. Man erkennt ihn am Klang, an den Portamenti, vor allem wie er von einem Ton runter zum nächsten Ton kommt. Er lässt den Finger ganz lange auf dem Griffbrett, bevor er zum nächsten kommt. Dadurch entsteht eine Art Gesang, die nur er macht. Hier ist er jung, da macht er es noch nicht so oft, später wird es manchmal fast manieriert. Hier ist das Tempo auch noch recht langsam, er wurde später schneller und schneller, und das Vibrato wurde brisanter. … Allein dieser Ausdruck in jedem Ton, das macht es so besonders und so emotional. Menuhin hat mich sehr geprägt, natürlich. Ich höre noch, wie er mir sagt, mach es doch hier so, mach doch dieses da. Aber das ist gefährlich. Das bin nicht ich. Ich spiele in ein paar Tagen das Brahms-Konzert, und meine Noten sind voll von seinen Markierungen und Fingersätzen, in blauem Stift. Wenn ich übe, schaue ich mir das noch mal an, und dann sehe ich seine zum Teil verrückten Fingersätze, die nur er machen konnte. Menuhin war der originellste und verrückteste Geiger, den man sich vorstellen kann. Er ging oft in die ganz hohe Lagen, das ist sehr gefährlich, aber mit seiner Hand konnte er das machen. Das ist eine tolle Aufnahme, und Mendelssohn finde ich sowieso genial. Auch ein Unterschätzter, und er wird es wohl leider bleiben. Aber wenn ich eine einzige Aufnahme von Menuhin aussuchen müsste, wäre es der langsame Satz vom Schumann-Violinkonzert, das er mit Barbirolli aufgenommen hat, als er 16 war – es gibt nichts vergleichbares auf der Welt.
Schostakowitsch: Klaviertrio Nr. 2
Gidon Kremer (Violine), Mischa Maisky (Cello),
Martha Argerich (Klavier) 1998
Deutsche Grammophon
Der Anfang ist sehr schwer für den Cellisten. … Der Geiger macht für mich zu viel Vibrato. Ich mag es mit ganz wenig Vibrato, dann passt es besser zum Cello-Flageolett. (2. Satz) … Gut! … Die spielen nicht die Original-Bogensätze, was ich schade finde. Es ist ganz anders, als ich es machen würde. Aber sehr gut gespielt. (3. Satz Largo, Geigen-Kantilene) Sehr schön. Es hat ein bisschen was von Gidon Kremer. Der Ausdruck, wenn er nicht vibriert, ist bei Kremer ganz eigenartig, eigenartig schön. Aber es ist mehr Vibrato, als Kremer benutzen würde. Aber es gefällt mir sehr. Das Cello auch. Das Klavier kann ich noch nicht beurteilen. … Ich würde sagen, der Geiger ist schon etwas älter. Und wahrscheinlich, ich lehne mich jetzt weit aus dem Fenster, steht er in der jüdisch-russischen Tradition. Der zweite Satz hat mich an Oleg Kagan erinnert. Hören wir mal den letzten Satz. Sehr spannend! (4. Satz, Geigen-pizzicato)Die offene E-Saite, das hat russische Wurzeln. (tiefer Cello-Ton) Oh, das ist Theater.(lacht) Ist das Maisky? Dann müsste es Argerich sein. Dann müsste es auch Kremer sein! Gibt’s ja nicht. … Das ist ein Wahnsinns-Stück! Ich habe es oft mit dem Beaux Arts Trio gespielt. Diese sechseinhalb Jahre gehören zu den schönsten und reichsten Erfahrungen in meinem musikalischen Leben. 400 Konzerte, 2 CDs. Es war toll, das gemacht zu haben. Ich werde immer Kammermusik machen, das sind die Vitamine für uns Musiker, ohne Kammermusik kann ich nicht leben. Aber ich spiele erst mal in keinem festen Ensemble mehr. Einen Schubert 50 Mal zu spielen über zwei Jahre hinweg und jedes Mal aufs Neue daran zu arbeiten – dieses Leben mit der Musik ist sehr intensiv und sehr inspirierend, aber auch sehr erschöpfend. Ich möchte das zumindest für die nächsten Jahre so in Erinnerung behalten.
Tippett: Konzert für Violine, Viola, Cello und Orchester
György Pauk, Nobuko Imai, Ralph Kirshbaum, London Symphony Orchestra, Colin Davis (Leitung) 1981 – Decca
Das ist nicht unsere Aufnahme. Dann ist es wahrscheinlich György Pauk. Ich liebe dieses Stück. Aber es ist sehr probenintensiv. Allein diese Bläsersätze am Anfang. … Und dieser Klagegesang hier, das ist toll! Das Stück ist rhythmisch extrem schwer, ich weiß noch, wie sehr wir zu leiden hatten. Aber es ist ein wunderbares Werk, weil Tippett den Kern trifft zwischen dem Lyrischen und dem kompromisslos Rhythmischen. Das findet man besonders in der zeitgenössischen englischen Musik: bei Peter Maxwell Davies, Mark Anthony Turnage, Thomas Adès. Ich mag Musik nicht, die nur reinknallt und Effekt macht. Sie muss etwas Menschliches haben, eine Seele. Tippett schreibt auch tolle Melodien. Neue Musik ist mir sehr wichtig. Ich bin überzeugt, diese Musik hat eine große Zukunft, aber die Interpreten müssen sich für sie einsetzen. Die Welt hat sich verändert, und wir können nicht mehr erwarten, dass die Zuhörer diese Musik einfach so gut finden. Die Interpreten und die Veranstalter müssen mit ihren Einführungen etwas dazu beitragen. Nach dem Violinkonzert von Maxwell Davies mit dem Gewandhausorchester kamen tolle Reaktionen vom Publikum. Bei den Proms war es ähnlich. Da sagten Leute: Vielen Dank für das schöne Konzert. Das Wort „schön“ hört man nicht oft im Zusammenhang mit zeitgenössischer Musik. Zeitgenössische Musik kann schön sein, ohne billig zu sein.
Brahms: Violinkonzert
Maxim Vengerov (Violine), Chicago Symphony Orchestra, Daniel Barenboim (Leitung) 1997
Teldec
Ein wunderbares Konzert, Brahms gehört zu meinen absoluten Lieblingskomponisten. Das gefällt mir sehr. Sehr klar artikuliert. Ein sehr schöner Klang, sehr schöne Bögen. (Triller) Wow, der ist lang…. Ist das Vadim Repin? Das ist Vengerov? Das hätte ich nicht gedacht. … Oh, das hier war wunderschön, können wir das nochmal hören? Wow, das ist Weltklasse! Er spielt diese Figur in einem Bogen, das macht sonst niemand. … Ich schätze ihn sehr. Aber was ich immer so geliebt habe an ihm, ist dieses Explosionsartige. Und das finde ich hier nicht, das wundert mich. Es ist sehr gemäßigt. … Er ist ein grandioser Geiger. Es ist so schade, dass er seit 2007 pausiert. Für mich geht es bei einer Aufnahme oder einem Konzert um ein paar Sekunden. Ob jemand diesen Ton trifft oder jenen Triller schafft, das ist mir gar nicht so wichtig. Was für mich zählt: Gibt es einen Moment im Konzert, wo mir der Atem stockt. Und diese zwei Takte hier von Maxim – da kann man nichts mehr sagen. Das ist überirdisch schön. Und dann ist es für mich eine tolle Aufnahme. Diese kleinen Momente, wo man merkt, da passiert etwas ganz außergewöhnliches – deswegen bin ich Musiker.