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Blind gehört Bodo Wartke

„Musik braucht kulturellen Austausch“

Musikkabarettist Bodo Wartke hört und kommentiert Aufnahmen von Kollegen, ohne dass er weiß, wer singt oder spielt.

vonJakob Buhre,

In gewisser Regelmäßigkeit findet sich im Bühnenprogramm von Bodo Wartke auch klassische Musik. Mit Augenzwinkern betextet der in Berlin lebende Kabarettist Beethovens „Für Elise“, erklärt seinem Publikum humorvoll das Prinzip der Zwölftonmusik und buchstabiert sich zur Melodie des Papageno durch die Vogelwelt. Bald könnte es von ihm sogar ein abendfüllendes Mozart-Programm geben, denn wie Wartke verrät, hat er für die „Zauberflöte“ ein komplettes Libretto gedichtet. 

Schubert: Erlkönig

Christoph Prégardien (Tenor), Michael Gees (Klavier)
EMI 1996

Das Stück habe ich vor kurzem selbst gesungen, auf einer Hochzeit, mit verteilten Rollen. (singt einige Takte mit) Stimmlich war das für mich nicht einfach. Ist das vielleicht Fischer-Dieskau? – Es ist so spannend! Besser kann man den „Erlkönig“ nicht vertonen. Leider konnte, soweit ich weiß, Goethe selbst dem nicht viel abgewinnen und war der Ansicht, seine Gedichte brauchen keine Musik. Klar, die stehen auch für sich, aber wenn man sie vertonen will, dann doch bitte so. Alles, was dem Text innewohnt, hat Schubert genial in Musik übersetzt, das zieht einen immer noch in seinen Bann. – Christoph Prégardien? Nein, der Name sagt mir nichts. Opern- oder Konzertsänger stehen ja vor der Aufgabe, ein Werk einerseits authentisch und glaubwürdig zu interpretieren, andererseits soll es ­musikalisch astrein und akustisch verständlich sein. Ich finde, dass hier der Sänger diese Herausforderung ziemlich gut meistert.

Mozart: Klarinettenkonzert A-Dur KV 622

Benny Goodman (Klarinette), Boston Symphony Orchestra, Charles Münch (Leitung)
RCA 1957

Das ist vermutlich ein Klarinettenkonzert. Und so wie es komponiert ist, würde ich auf Mozart tippen. Spielt das Giora Feidman? – Wie, Benny Goodman? Wow! Er ist jemand, den ich schon als Kind hörte, seine Version von „Sing Sing Sing (With a Swing)“ hat mich sehr begeistert. Später habe ich auch gelernt, wie man dazu Swing tanzt. Was mir hier sehr gut gefällt: Er spielt dem Werk verpflichtet. Manche Interpreten nutzen ein Stück ja, um sich selbst hervorzutun. Aber das macht Goodman nicht, sondern er nähert sich dieser Musik sehr respektvoll, missbraucht sie nicht.

Mozart: Der Vogelfänger bin ich ja

Dietrich Fischer-Dieskau (Bariton), Berliner Philharmoniker, Karl Böhm (Leitung)
DG 1969

Aha, das hier ist jetzt Fischer-Dieskau? An ihm ist toll, dass er so klar singt, nicht manieriert. Wobei ich ihn als Schubert-Interpret interessanter finde – was aber auch an der höheren Qualität der Texte liegen kann. Ich bin ja sehr unzufrieden mit dem Libretto von Schikaneder, nicht nur weil es rassistische und frauenfeindliche Stereotype enthält, sondern auch weil es handwerkliche Schwächen hat. Oft beugt Schikaneder die Grammatik, damit es sich reimt, der Satzbau ist teilweise falsch, bestimmte Zeilen werden sehr häufig wiederholt und er übergeht, dass die Musik Kreuz- oder Doppelreimstrukturen nahelegt. Wenn Reime dort wären, wo Mozart sie hinkomponiert hat, klänge es viel besser. Ich habe deswegen selbst ein komplettes Libretto für die Zauberflöte geschrieben. ­Eigentlich dachte ich, dass ich damit bei Opernhäusern offene Türen einrenne, doch bislang liegt es in meiner Schublade. Der Anfang dieser Arie klingt bei mir so:

„Der Vogelfänger bin ich ja, / ein ausgesprochen gründlicher. / Es weiß nämlich nicht jeder wie / man umgeht mit dem Federvieh / Wenn ihr fragt, wie ich denn all die Vögel fang, / mit meinem betörenden Flötenklang / Kaum vernehmen sie meine kleine Melodei / fliegen sie direkt in meinen Käfig rein.“

Kreisler: Der Tod, das muss ein Wiener sein

Jonas Kaufmann (Tenor), Michael Rot (Klavier)
Sony Classical 2019

Das ist ein Lied von Georg Kreisler, meinem größten Vorbild. Als ich im Teenager-Alter entdeckte, wie genial er mit Sprache und Musik umgeht, hat sich für mich ein Tor zu einer neuen Welt geöffnet. Ich höre hier klassisches Timbre, Volumen in der Stimme – und der Wiener Akzent des Sängers klingt echt. Es scheint ihm aber mehr um schönen Gesang zu gehen als um den Text, er schöpft das humoristische ­Potential nicht aus, er nimmt dem Lied die Doppelbödigkeit. Was den großen Reiz von Kreisler ausmacht, ist ja dieses Verschmitzte, der Zynismus, das Boshafte, Morbide, das fehlt mir hier. Es gibt Sänger, die das wunderbar rüberbringen können, wie etwa Tim Fischer. Am Ende war aber Georg Kreisler selbst sein bester Interpret, bei ihm hatte das immer genau die richtige ­Dosis.

Schönberg: Bläserquintett op. 26

Danzi-Bläserquintett Berlin
Eterna 1989

Das scheint Zwölftontechnik zu sein. Der Klang ist spannend, gar nicht unangenehm, ich könnte mir das gut als Szenen-Untermalung in einem Film vorstellen. Von selbst würde ich wahrscheinlich nicht in ein Schönberg-Konzert gehen – aber vielleicht sollte ich mich mal darauf einlassen? Ich habe ein Stück über Zwölftonmusik in meinem Bühnenprogramm. Beim Schreiben habe ich gemerkt, dass sich dieses Kompositions­prinzip wunderbar für Analogien auf unsere Gesellschaft eignet. Am Klavier etwa geht es um die Gleichberechtigung schwarzer und weißer Tasten: Black keys matter. Ich versuche, mich dieser Musik mit Humor und Respekt zu nähern, nicht darauf rumzureiten, wie schwer verständlich das alles ist, sondern zu zeigen, worum es den Komponisten ging, die diese Art von Musik erfunden haben.

Mohr/Richter: Kleines Fräulein, einen Augenblick

Max Raabe und sein Palast Orchester
Monopol Records 1990

Ich war erst vor drei Tagen auf seinem Konzert. Sensationell wie eh und je. Wenn ich mit Orchester auf der Bühne bin, bewege ich mich ja sehr viel, tanze auch bei einigen Stücken. Max Raabe dagegen ist, was das anbelangt, äußerst sparsam, er fuchtelt nicht herum, steht hauptsächlich hinter dem Mikrofon. Er macht kein Chichi, dadurch bekommt das, was er singt, eine großartige Pointiertheit und Klarheit. Er ist sehr der Musik verpflichtet, er huldigt den Vorbildern, von denen damals viele aus Deutschland vertrieben oder umgebracht wurden. Diesen Schatz an Liedern der zwanziger und dreißiger Jahre hat er in die heutige Zeit gerettet. Und seine Art der Darbietung, auch die Instrumentierung ist unheimlich charmant, er singt nicht gekünstelt, er parodiert nicht. Man könnte auch sagen: Lieder werden interessanter, wenn Max Raabe sie singt.

Zieh die Schuh aus

Roger Cicero
Warner Music 2006

Als diese Platte zum ersten Mal im Radio lief, habe ich frohlockt und gedacht: „Na endlich, es geht doch!“ Das ist Textdichtung in einer Qualität, wie man sie sonst in der deutschen Popmusik sehr lange suchen muss. Es ist wundervoll gereimt, verbunden mit Swing und Jazz – nur das, wovon Roger Cicero gesungen hat, empfand ich als etwas klischeehaft: Frauen sind so, Männer sind so – das klang für mich teilweise nach kommerziellem Kalkül. Aber handwerklich ist es fantastisch, Doppelreime, prägnant, auf den Punkt, stimmlich passt es wunderbar. Für sein Album „Beziehungsweise“ wurde ich gefragt, ob ich zu einer fertigen Musik den Text schreibe – daraus wurde dann der Song „Der Anruf“.

J. S. Bach/Cicero: Bach Goes Latin

Eugen Cicero Trio
Timeless Records 1985

Das beginnt wie das C-Dur-Präludium von Bach, aber dann höre ich Bossa-Nova. Ja, damit kann ich etwas anfangen. Sind das vielleicht die Klazz Brothers? – Ah, Rogers Vater, Eugen Cicero – er ist ja leider auch sehr früh gestorben, was für Roger, glaube ich, ein schwerer Schlag war. Der erste, der dieses Präludium für eine neue Komposition verwendet hat, war vermutlich Charles Gounod in seinem „Ave Maria“. Ich finde es toll, wenn es gelingt, etwas Neues zu kreieren mit dem alten Werk, und nicht auf seine Kosten. Diese Aufnahme bewegt sich für mich in einem guten Bereich, das ist virtuos gespielt. Und interessant ist, dass Bachs Musik das hergibt. Die Ausdrucksform Bossa kannte er damals nicht, dennoch steckt es in seiner Musik drin, es funktioniert zusammen. Wenn sich Musikformen vermischen, wenn Genregrenzen überschritten werden, finde ich das immer bereichernd. Heutzutage wird viel über „kulturelle Aneignung“ diskutiert. Musik braucht kulturellen Austausch, um sich weiterzuentwickeln. Boogie-Woogie wurde von tollen afroamerikanischen Pianisten erfunden, aber weiterentwickelt haben diesen Stil weiße Pianisten aus Hamburg. Und zwar in einer Art und Weise, bei der die Erfinder sagen: „Super!“ Für mich ist keine Frage, ob man etwas aus einer anderen Kultur verwenden darf, ich bin sogar der Meinung, man sollte es tun – nur bitte immer mit Respekt!

Album-Tipp:

Album Cover für In guter Begleitung (live)

In guter Begleitung (live)

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