Berlin-Kreuzberg, eine gemütliche Hinterhaus-Wohnung unweit vom Landwehrkanal: Tatort für unser „Blind gehört”-Interview mit dem ATOS Trio. Kaffee und Laptop zum Abspielen der CDs stehen schon bereit, als mir der Cellist die Tür öffnet. Beim Hören der Musik wird schnell klar: Annette von Hehn (Violine), Stefan Heinemeyer (Violoncello) und Thomas Hoppe (Klavier) sind sich nicht nur in ihren eigenen Interpretationen, sondern auch in ihrer Meinung über die von anderen sehr einig.
Mendelssohn: Klaviertrio Nr. 1 d-Moll op. 49
Leibniz Trio
2012. Genuin classics
Thomas Hoppe (TH): Was schätzt Ihr denn, wer das ist? Stefan Heinemeyer (SH):Schwer zusagen… Die Aufnahme ist auf jeden Fall nicht mehr ganz neu. TH: Denke ich auch, die Noten sind lang durchgehalten, das könnte heutzutage ein bisschen differenzierter in der Phrasierung und der Artikulation sein. Das klingt nicht nach historisch informierter Aufführungspraxis. SH: Ja, heute traut man sich da mehr in Extreme zu gehen. Wobei es im Konzert vielleicht auch ganz anders klingen würde. Das geht uns auch manchmal so: Man spielt sich die Seele aus dem Leib und ist mit dem Ergebnis, wenn man es sich hinterher anhört, trotzdem nicht zufrieden. Annette von Hehn (AvH): Ich finde es sehr schwungvoll, aber sehr gerade, sie nehmen sich nicht viele Freiheiten. Das ist ein ständiges Drängen, hier und da könnten sie sich mal mehr Zeit nehmen, mehr ausspielen. TH: Schwer zu sagen, ob es drei Solisten sind oder ein bestehendes Ensemble ist. Denn bei den alten Trios hört es sich oft so an, als wären es drei Solisten. SH: Sie spielen schon recht einheitlich. AvH: Aber da waren so Kleinigkeiten, gemeinsame Enden von Noten, gemeinsames Vibrato, die nicht hundertprozentig waren, wenn man die Lupe ansetzt… TH: Das ist schön, aber es berührt mich nicht richtig. Und das Vibrato ist für meinen Geschmack zu doll und nicht gleich.
Beethoven: Klaviertrio Nr. 1 Es-Dur op. 1/1
Beaux Arts Trio
1980. Philips Classics
TH: Das gefällt mir gut! SH: Das ist interessant, man hat Lust zuzuhören. TH: Das ist eine gewachsene Interpretation – keine, die mal schnell eingeübt wurde. Das ist definitiv ein echtes Trio. Es hat Humor, es ist spritzig… Ist es das Beaux Arts Trio? Aber es ist nicht die letzte Aufnahme… AvH: Das ist nicht Daniel Hope, das ist noch mit Cohen. SH: Hier lassen sie sich ein bisschen Zeit und gehen gemeinsam weiter. TH:Das kriegt man nur hin, wenn man viel probt und Zeit hat, sich um solche Details zu kümmern. Das klappt nicht, wenn sich drei Solisten treffen und das irgendwie zusammen pfeffern – das kann auch viel Pfiff haben, aber das hier ist etwas ganz anderes… Menahem Pressler hat so eine ganz bestimmte Art Klavier zu spielen, sehr lyrisch. AvH: Die Art und Weise, wie er die Finger bewegt, habe ich so noch nie bei einem Pianisten gesehen. Aber da findet wohl jeder Pianist seinen eigenen Weg. TH:Wir hatten mal Unterricht bei ihm, er wollte, dass ich das auch so spiele wie er… da konnte ich die Hand nicht mehr bewegen.
Beethoven: Klaviertrio Nr. 1 Es-Dur op. 1/1
Andrej Bielow (Violine), Adrian Brendel (Violoncello), Kit Armstrong (Klavier)
2012. Genuin classics
TH: Auch das ist ein echtes Trio, das sind keine Solisten. AvH: Oder sie haben gut geprobt… SH: Das ist gut zusammen, aber nicht so genau in den Details wie eben. TH:Aber eben bei der Stelle war ich beeindruckt. SH: Der Ausdruck ist gut. TH: Aber wenn es doch drei Solisten sind, sollte man erwarten, dass der Ausdruck stimmt. AvH: Aber es hat nicht die Spontaneität, die nur ein festes Trio haben kann. So geht es uns im Konzert: Der eine macht was und die anderen reagieren darauf. TH: Hier ist nicht so viel Humor, so viel Freude am Detail wie bei der Aufnahme eben. SH: Das ist sehr pianistisch gespielt, hier hört man eher einen Solisten im Gegensatz zum Kammermusiker bei der anderen Aufnahme. Und dieser Rutscher am Cello, das würde ich nicht machen. Das sind so solistische Manierismen, die passen nicht ins Klaviertrio.
Schumann: Klaviertrio Nr. 1 d-Moll op. 63
Christian Tetzlaff (Violine), Tanja Tetzlaff (Violoncello), Leif Ove Andsnes (Klavier)
2011. EMI Classics
TH: Irgendetwas ist in dem Ton von dem Geiger, das mir sagt, er ist nicht gewöhnt, jemand anderes etwas sagen zu lassen. Wenn er mal leise spielt, lässt er den anderen den Vortritt, um danach wieder umso mehr hervorzutreten. Die spielen schon gut zusammen, aber ich würde doch tippen, dass es drei Solisten sind. SH: Unser Schumann klingt verträumter und hat mehr Schwung, nicht so dick, nach… ein bisschen mehr Dreck unter den Fingernägeln. AvH: Es hat mir zu wenig Humor, man hört nicht, was für eine Freude es ist, Klaviertrio spielen zu dürfen… TH: Davon muss ich Euch mal die uralte Aufnahme von Cortot, Casals und Thibaud zeigen, das ist natürlich ein ganz anderer Stil, aber so, dass man nicht weghören kann… SH: Dieser Anfang muss so erlösend sein, der ganze Weltschmerz wird überwunden. TH: Und davor das Ende vom 3. Satz, da kann man sich eigentlich nur die Kugel geben. SH: Und das kommt hier nicht raus: Der 4. Satz muss einen Schwung und eine Freude haben, dass man platzen könnte.
Schostakowitsch: Klaviertrio Nr. 2 e-Moll op. 67
Mitglieder des Borodin Quartett, Elisabeth Leonskaja (Klavier)
1996. Warner Classics
SH: Das haben wir gerade aufgenommen! Das ist sehr sauber, fast zu sauber, rhythmisch sauber. AvH: Es könnte inniger sein… Das klingt ein bisschen belanglos. Es fehlt… TH: … eine Intention dahinter! SH: Ja, es klingt zu harmlos. Ich höre die Anstrengung nicht. Zu diesem Zeitpunkt, wenn wir das im Konzert gespielt haben, habe ich den Bogen kaum noch halten können und geschwitzt wie ein Idiot – und das Schlimmste kommt erst noch! TH: Und das passiert ja nicht, weil man sich da vorne produzieren will, sondern weil die Anspannung so groß ist. Das ist so ein Stück, danach kann man nichts anderes mehr spielen. AvH: Es gibt so unterschiedliches Material in dem Werk, aber hier klingt es alles irgendwie gleich. Ich vermisse die Kontraste. SH:Das hier steht im Fortissimo, mit Dämpfer, das muss völlig irre klingen. TH: Wie ein unterdrückter Schrei. Das muss an die Substanz gehen. Das ist nicht gelebt, das ist gespielt.
Schubert: Klaviertrio Nr. 1
Klaviertrio Amsterdam
2008. Brilliant Classics
AvH: Des is aber net so des Tempo von einem Fiaker, gell? Menahem Pressler hat uns dazu gesagt: Ihr müssts Euch vorstellen, Ihr sitzt in einem Fiaaaker und fahrt durch Wien. So wie Ihr des spielt, klingt des mehr nach einer Fahrt mit dem Motorrad. SH: Es klingt am Anfang wie aus den 60er Jahren, mit schön viel Vibrato, aber dafür eigentlich zu wenig geschmacklos. Wenn man das schon so spielt, dann kann man auch schöne Rutscher machen und so richtig in die Kitsch-Kiste greifen. Also wenn, dann richtig! Aber es bleibt trotzdem ein schönes Stück. TH: Ja, es gibt so Sachen, die sind unzerstörbar, da kann man spielen, wie man will, es ist trotzdem noch schön.