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INTERVIEW PIERRE-LAURENT AIMARD

„Blicken wir nach vorn!“

Pierre-Laurent Aimard gilt als Mann der Moderne. Doch er selbst kann mit diesem Bild so gar nichts anfangen

vonChristoph Forsthoff,

Leichte Kost beschert Pierre-Laurent Aimard seinem Publikum höchst selten. Messiaen, Ligeti, Stockhausen, Benjamin: Der französische Pianist konfrontiert die Zuhörer gern und immer wieder mit der Avantgarde – steter Tropfen höhlt den Stein, steter Neuklang öffnet das Ohr für die Moderne. Entsprechend überrascht wird mancher sein, dass der Pianist für sein jüngstes (CD-)Projekt ausgerechnet das erste Buch des Wohltemperierten Klaviers von Bach ausgewählt hat.

Sie gelten als Mann der Moderne – was hat Sie da in der Musikgeschichte drei Jahrhunderte zurückverschlagen?

 

Das ist ein Missverständnis. Ich war immer fasziniert von einigen modernen Komponisten, zugleich aber auch von der Vergangenheit. Genauso war meine Ausbildung angelegt, und ebenso habe ich in meiner beruflichen Tätigkeit stets Altes und Neues verbunden: Denn ich habe immer danach gestrebt, eine innere Balance zu finden. 

Bach aber gehörte bislang nicht gerade zu ihren bevorzugten Komponisten.

In der Tat habe ich erst spät angefangen, mich intensiv mit Bach zu beschäftigen. Ich fand immer, dass seine Musik so reich und komplex ist, dass man Zeit braucht – und als Pianist habe ich so viel Repertoire, dass ich mir den Luxus leisten kann abzuwarten. So habe ich etwa erst vor ein paar Jahren begonnen, mich mit der Kunst der Fuge zu befassen.

Dennoch: Bis vor einem Jahrzehnt schienen Sie sich in erster Linie der Moderne zu widmen …

… man hat es so gesehen, aber es ist nicht so gewesen. Sicher habe ich mich viel der zeitgenössischen Musik gewidmet, denn für mich liegt hier eine Priorität, weil die Moderne eine solch reichhaltige Welt bietet, die doch kaum beachtet wird. Aber ich erinnere mich noch an meine allerersten Recital-Programme als ganz junger Pianist: Eines umfasste eine Geschichte der Sonatenform von Carl Philipp Emmanuel Bach bis Boulez – ich habe immer schon so gelebt und mich so wohl gefühlt.

Wie kommt es, dass in der Öffentlichkeit dieses andere Bild entstanden ist von einem überwiegend der Moderne zugewandten Pianisten?

Die Auseinandersetzung mit der Moderne scheint ungewöhnlich zu sein. Für mich hingegen ist es ganz normal, sich mit einer Kunst zu beschäftigen, die von Menschen unserer Zeit geschaffen wird. Und ich glaube auch, dass diese musikalische Sprache am leichtesten zu lernen ist, denn diese Werke wurden aus einer Welt heraus konzipiert, deren Klang-, Form-, und Zeitvorstellungen und deren Kommunikationsformen uns vertraut sind.

 

Und trotzdem haben Sie das Wohltemperierte Klavier aufgenommen – dabei haben Sie selbst einmal gesagt, es reize Sie nicht, jene Werke aufzunehmen, die schon alle Welt eingespielt hat …

 

… ja, da gibt es wirklich sehr viele Aufnahmen. Grundsätzlich finde ich, dass ein Leben mehr Sinn macht, wenn man überlegt, wie man nützlich sein kann. Weshalb es mir sinnvoller scheint, mich jenen Werken zu widmen, die nicht jeden Tag präsentiert werden – und zwar alte oder neue. Aber andererseits will ich nicht nur systematisch leben – und wenn etwas für mich wesentlich ist, dann mache ich es.

Was ist das Wesentliche an Bachs Wohltemperiertem Klavier?

Es ist eine Musik, mit der ich meine jungen Jahre verbracht habe – und für mich war es wichtig, mich nun als Erwachsener damit noch einmal in Ruhe auseinanderzusetzen. Und zwar nicht nur das Werk zu spielen, sondern damit zu leben: Daher habe ich im letzten Jahr ein Sabbatical eingelegt – sieben Monate ohne Konzerte, so dass ich ganz im Rhythmus dieser Musik leben konnte. 

Klingt gut – warum haben Sie nicht gleich ein ganzes Sabbat-Jahr genommen wie manch anderer Kollege?

Ich wollte meine Tätigkeit als künstlerischer Leiter in Aldeburgh nicht unterbrechen und zudem auch beim Klavierfestival Ruhr eine Ligeti-Woche machen, weil die wiederum mit der Ligeti-Website verbunden ist – und diese Ligeti-Website ist das zweite Thema, mit dem ich mich während dieser Auszeit beschäftigt habe. Ein ganz wesentliches Projekt, das viel Arbeit und Geduld erfordert, aber für mich jetzt Priorität hat. Denn auf diese Weise Zeugnis vom Schaffen eines großen Komponisten zu geben, ist die vielleicht wichtigste Aufgabe, die wir uns als Interpreten stellen können und sollten.

Nun setzen zwar immer mehr Künstler moderne Werke auf ihre Programme – doch hat sich damit auch die einst sehr ablehnende Haltung des Publikums gegenüber Neuer Musik verändert?

Die Neue Musik steckt heutzutage weniger in einem Ghetto als früher, es gibt auch mehr Interpreten, die sich mit Neuer Musik beschäftigen, und auch ein größeres Publikum. Aber von welcher Neuer Musik sprechen wir? Wenn wir etwa an das Problem der Ghettoisierung der Neuen Musik denken, dann war das ein Problem in den Jahren der Avantgarde …

… also in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts …

… als nämlich die Neue Musik teilweise noch wirklich Avantgarde war mit allem, was dies bedeutet: nämlich dem Bruch mit dem Erbe und dem gesellschaftlichen Einvernehmen. Aber hat sich diese Avantgarde heutzutage wirklich integriert in unsere Musik-Gesellschaft? Nein! Die größten Werke der Moderne werden nicht regelmäßig gespielt und unterrichtet, die Mehrheit des Publikums versteht diese Musik nach wie vor nicht wirklich – und in der Mehrheit der Hochschulen und Konservatorien wird diese Musik ignoriert oder nicht akzeptiert. Die Haltung der klassischen Musik-Ausbildung gegenüber der Moderne bleibt also konservativ und die Avantgarde der 50er Jahre damit weiterhin außen vor.

Ist das nicht ein allzu pessimistischer Blick auf die Moderne?

Natürlich gibt es mehr und mehr Spezialisten und dadurch auch mehr Verständnis für diese Musik. Nur bleibt die Frage: Was ist 2014 Neue Musik? Die Avantgarde der 50er und 60er Jahre sind Teil der Geschichte – das ist keine Neue Musik mehr, auch wenn sie nach wie vor als solche betrachtet wird. Und die Musik, die heute komponiert wird, klingt zwar manchmal sehr radikal neu, aber die Mehrheit dieser Musik ist ziemlich political correct, dem Kommerz zugewandt und bloß nicht störend.

Befürchten Sie, dass die Entwicklung der klassischen Musik an dieser Bruchstelle zwischen Tradition und Moderne scheitern könnte?

Es gibt überall in der Welt, ob in der Politik oder auch in der Philosophie, derzeit eine Tendenz, rückwärts zu gehen – und das ist gefährlich für die Menschheit und unsere Zivilisation. Aber ich glaube an einen anderen Menschen, und der hat schon ganz andere Kämpfe gewonnen – insofern: Blicken wir nach vorn.

Ein Blick, der in Ihrem Fall von Berlin ausgeht, denn Sie sind vor einigen Jahren dorthin gezogen – warum?

Ganz einfach – Berlin ist Berlin. Ich mag die Stadt sehr: Sie ist aktuell und kein Museum, dessen Geschichte vor Jahrhunderten zu Ende gegangen ist. Die Menschen dort sind von ihrer Mentalität her offen, die Stadt ist jung und frisch, intellektuell und kulturell sehr interessant.

Letzteres trifft zumindest für die dortige Küche kaum zu. Da Franzosen ja gemeinhin als Gourmets gelten, dürften Sie in diesem Punkt eher Schwierigkeiten mit Ihrem neuen Wohnsitz haben … 

 

Also, wenn ich die Frage jetzt ein wenig bös‘ beantworten wollte, könnte ich sagen: Das ist leider nicht nur in Deutschland so, dass man mit dem Essen solche Schwierigkeiten hat … Nein, es hat sich viel geändert in den letzten Jahren, inzwischen lässt sich auch in Deutschland sehr gut essen, es hat sich eine Kultur der guten heimischen Küche entwickelt und man kann auch gute Produkte kaufen. Mehr möchte ich dann aber nicht sagen, denn ich möchte nicht als Chauvinist betrachtet werden – aber zweifellos ist die hiesige Küche nicht

der Grund, warum ich nach Deutschland gekommen bin.

Wie ist es denn um Ihre eigenen Kochkünste bestellt? Ihr Großvater war ja einer der berühmtesten Saucenkünstler von Lyon …

… was in Frankreich eine wichtige gesellschaftliche Position bedeutet. Für uns ist die Gastronomie wirklich eine Kunst, deshalb spielt das eine zentrale Rolle.

Sind Sie selbst denn von ihm auch beeinflusst worden?

Leider nicht – ich habe ein großes Interesse und ihn als Knabe mit Aufmerksamkeit in seiner Werkstatt beobachtet, denn mich hat dieses Talent und Handwerk wirklich fasziniert. Aber es fehlt mir einfach die Zeit, und da ich auch nicht so begabt bin, bereite ich zwar gern etwas zu, aber sehr bescheiden und extrem einfach.

Wenn Sie selbst kochen …

… ist das wirklich nichts dagegen. Ich bin da nicht unsensibel, aber mehr auf keinen Fall – leider … Ich habe Musikerkollegen in Frankreich, die wie Götter kochen und drei Tage lang ein Sonntag-Abendessen vorbereiten: Da glauben Sie, Sie äßen in einem Drei-Sterne-Restaurant!

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