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Beethoven-Jubiläum: Malte Boecker & Daniel Hope im Interview

„Für viele ist Beethoven noch ein Übermensch“

Er war das grimmige, der Welt entrückte Genie – oder? Malte Boecker und Daniel Hope über das weitverbreitete, jedoch nicht ganz korrekte Bild des Komponisten.

vonSusanne Bánhidai,

Zum 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens laufen die Vorbereitungen in Bonn auf Hochtouren. Hier verbrachte der Komponist die ersten 22 Jahre seines Lebens. Zum Auftakt des Beethoven-Jahres 2020 präsentiert sich auch das Museum des Beethoven-Hauses, wo der Komponist geboren wurde, in neuem Glanz. Aber wer war Beethoven eigentlich, dessen Musik auf der ganzen Welt gespielt wird und der 138 mit Opuszahlen versehene Werke hinterließ, die nahezu alle Gattungen in vollendeter Form abdecken – von der Klaviersonate über das Streichquartett bis zu den neun mustergültigen Sinfonien? Als einsamen Genius hat man ihn glorifiziert, als störrischen Griesgram diffamiert, als großen Visionär und Freiheitsdenker bewundert, und mit Blick auf sein hochkomplexes, zukunftsweisendes Spätwerk musste er sich auch gefallen lassen, ein dem Wahnsinn naher Eigenbrötler genannt zu werden. Das vorherrschende Beethovenbild wirkt wie ein Mosaik aus sehr einseitigen Schablonen, die oft so gar nicht zueinander passen und hinter denen vielleicht ein ganz anderer Mensch und Musiker steckt, als er in unserer Vorstellung existiert.

Zwei Schlüsselfiguren des Beethoven-Jahres und unsere Gesprächspartner – der Direktor und der Präsident des Beethoven-Hauses: Malte Boecker (l.) und Daniel Hope (r.)
Zwei Schlüsselfiguren des Beethoven-Jahres und unsere Gesprächspartner – der Direktor und der Präsident des Beethoven-Hauses: Malte Boecker (l.) und Daniel Hope (r.)

Herr Hope, unser Bild von Beethoven ist stark geprägt vom Porträt des Malers Joseph Karl Stieler aus dem Jahre 1820. Jeder kennt das Konterfei, das einen grimmigen Workaholic zeigt, einen unzugänglichen „Titanen“ …

Vom Genius umflort: Joseph Karl Stieler schuf 1820 jenes Porträt, das unsere Vorstellung von Beethoven bis heute prägt.
Vom Genius umflort: Joseph Karl Stieler schuf 1820 jenes Porträt, das unsere Vorstellung von Beethoven bis heute prägt.

Daniel Hope: Dabei sind die Jugendbilder viel spannender. Natürlich kennt man ihn so, das ist sein Image, und dieses Bild hat den größten Wiedererkennungswert. Auf den Jugendporträts sieht man aber noch einiges mehr in seinem Gesicht: vor allem seine Verletzlichkeit. Diese Unsicherheit, auch Bedürftigkeit deckt sich mit der Haltung eines Suchenden in seinen Briefen aus dieser Zeit. Wenn er mit einem Freund kommuniziert, bittet er ihn: „Schreib mir ganz oft zurück.“

Malte Boecker: Das Stieler-Porträt gehört zu den vielen Klischees von Beethoven. So ein Jubiläum ist ein guter Anlass, unser Bild von Beethoven zu verfeinern. Er verkörpert für uns den Standard von klassischer Musik. Dabei hatte er selber mit Sicherheit nie den Anspruch, etwas Letztgültiges zu schreiben, weil er sich gerne auf unsicheres Terrain begab und Entwicklungen suchte. Aber so können wir den „Klassiker“ kaum noch hören. Es ist jetzt unsere Aufgabe, seine radikale Haltung in den Vordergrund zu rücken.

War Beethoven ein geborener Virtuose oder ein begnadeter Komponist?

Hope: Er war ein Virtuose in allem, was er gemacht hat. Das ist das Besondere an Beethoven. Die Virtuosität zeigt sich in kompositorischer, spielerischer wie auch in sprachlicher Hinsicht. Ich kann die Lektüre seiner Briefe sehr empfehlen. Die unglaubliche Leistung besteht auch darin, seine musikalische Begabung zu transferieren. Er konnte ein Kaleidoskop von Klängen erschaffen, ohne sie hören zu können.

Boecker: 1802 gibt es die ersten Offenbarungen gegenüber engen Freunden, dass er schlecht hört. Da war er 32 Jahre alt. 1818, mit knapp fünfzig Jahren, war er fast taub. 1802 war er noch der Salonlöwe, der sein Geld als ausübender Musiker verdient hat. Komponiert hat er wenig, eher improvisiert. Als ihm bewusst wurde, dass seine Existenzgrundlage bedroht ist, hat er sich neu erfunden. Ab 1802, 1803 gibt es eine Explosion an Kompositionen. Wahrscheinlich hat er sein inneres Hören sehr trainiert. Wie das ging, weiß ich auch nicht. Das erklärt auch, dass es diesen Wust an Notizen gibt. Aus dem gesellschaftlichen Leben hat er sich immer stärker zurückgezogen. Man sagt: Der Blinde verliert den Bezug zu den Dingen, der Taube verliert den Bezug zu den Menschen. Tatsächlich wurde er so notgedrungen und Gott sei Dank beides – Virtuose und Komponist.

Komponieren ohne Instrument: Der taube Beethoven hört die Musik in seinem Kopf
Komponieren ohne Instrument: Der taube Beethoven hört die Musik in seinem Kopf

Beethoven war ein reflektierter Weltbürger und Humanist. Wie ist er uns in diesen Aspekten ein Vorbild?

Boecker: Er war ein Musiker, der keinen rein ästhetischen Diskurs führen wollte. Beethovens Musik ist eine Reflexion über sein gesellschaftliches Umfeld. Er bezieht sich auf die Politik seiner Zeit, allein das Verhältnis Beethovens zu Napoleon ist eine lange und komplizierte Geschichte. Heute haben wir es mit einem Klassikbetrieb zu tun, der sich wenig politisch äußert. Das könnte ein Impuls sein, der vom Jubiläumsjahr ausgeht. Wir verlieren gerade gesellschaftlich viel von genau den Bindekräften, für die diese Musik mal stand. Es kann sich eigentlich niemand mehr leisten, diese Musik nicht als politische Botschaft einzusetzen. Das ist der Weckruf, der von Beethoven ausgeht – ich verstehe ihn jedenfalls so. Das Beethoven-Jahr ist ein Appell an die Musiker, sich politisch zu äußern. Sie sind die besten Botschafter für eine Gesellschaft, die inklusiv und nachhaltig ist. Viele kämpfen dafür, aber es ist keine Selbstverständlichkeit.

Hope: Du hast alles dazu gesagt.

Naturfreund Beethoven: Sosah Maler Julius Schmid den „einsamen Meister“
Naturfreund Beethoven: Sosah Maler Julius Schmid den „einsamen Meister“

Beethoven ging auch als großer Naturfreund in die Geschichte ein. Wo findet man denn seine Liebe zur Natur außerhalb der sechsten Sinfonie, seiner „Pastorale“? Gibt es eine Botschaft für uns in Zeiten des Klimawandels?

Hope: Es gibt diese Geschichte von der Gebirgswanderung mit seinem Jugendfreund Franz Gerhard Wegeler, als er ungefähr vierzehn Jahre alt war. Es gab ein Gewitter, und Beethoven wollte die ganze Zeit draußen bleiben und alles miterleben. Am Ende haben sie sich verlaufen und landeten in einem Kloster, wo er die halbe Nacht Orgel spielte. Das Erleben der Natur mit allen Sinnen war ihm wichtig, auch als Ausgleich. Das kenne ich auch gut von mir selbst.

Boecker: Wenn man sich nochmal an das Stieler-Porträt erinnert, hat man schnell die wilde Mähne und den roten Schal vor Augen. Bei genauerer Betrachtung sieht man: Beethoven ist in der Natur. Er hat sich in diesem Bild, von dem er auch selber glaubte, dass es das beste Porträt von ihm sei, in der Natur darstellen lassen. Viele weitere Zeichnungen von ihm in der Natur zeigen, wie wichtig ihm dieses Thema war. Dieser Drang, nach draußen zu gehen, lässt sich bis in die Bonner Zeit zurückverfolgen, wo er bei Spaziergängen im Siebengebirge Inspiration fand. Nachhaltigkeitsdebatten wollte er nicht anstoßen. Aber die sechste Sinfonie als Reflexion über sein Empfinden in der Natur weist in unsere Zeit. Die Frage im Jubiläumsjahr, die wir auch in unserem Pastoral Project stellen, heißt: Wie ist eigentlich heute unser Verhältnis zur Natur? Brett Dean hat 2000 eine „Pastoral Symphony“ geschrieben, und neulich hörte ich das starke Werk einer jungen Komponistin über Insekten. Die Musik kann der Natur eine Stimme geben. Das ist dann kein Diskurs über CO2-Werte, sondern ein wichtiger emotionaler Zugang.

Beethoven galt vielen Komponisten der nachfolgenden Generationen als Übervater. Eine Zeit lang konnte sich keiner seinem Einfluss entziehen. Wie gehen heutige Komponisten mit diesem Erbe um?

Beethoven im Alter von dreißig Jahren: Porträt von Carl Traugott Riedel
Beethoven im Alter von dreißig Jahren: Porträt von Carl Traugott Riedel

Hope: Joseph Joachim und Johannes Brahms haben aus Ehrfurcht noch nicht mal seinen Namen genannt. Sie sprachen immer nur von dem „Hohen“. Einige tolle Komponisten haben generell sehr wenig übrig für Komponisten aus der Vergangenheit: Brahms, Haydn – eher altmodischer Kram. Aber vor Beethoven haben die meisten Respekt, vielleicht, weil er so provokant war. György Kurtág zum Beispiel: Er hat sich so gequält mit seinem Trio, das Menahem Pressler für das Beaux Arts Trio in Auftrag gegeben hatte. Wir sollten es zwischen zwei Beethoven-Trios spielen. „Wie kannst du erwarten, dass ich etwas schreibe, das zu Beethoven passt!“ Er hat oft abgesagt, aber dann komponierte er das Stück. Bei den Proben hat er uns gegrillt – stundenlang mit diesem kurzen Stück! Für viele ist Beethoven noch ein Übermensch, aber inzwischen haben viele das gute Gefühl, dass man ihm auch etwas hinzufügen kann. Jan Müller-Wieland beispielsweise habe ich im Jahr 2000 beauftragt, die „Egmont-Ouvertüre“ neu für ein Septett zu arrangieren, damit wir es in einem Konzert mit Igor ­Strawinskys „Die Soldaten“ spielen können. Die Bearbeitung ist brillant!

Boecker: Das Beethoven-Haus führt eine Datenbank über Kompositionen, die sich auf Beethoven beziehen oder von Beethoven inspiriert sind. Es sind schon 500 Seiten, und natürlich kommen jetzt noch mehr. 1970 war die Stimmung ungefähr so: „Beethoven ist tot, jetzt muss er vom Sockel runter. Wir können ihn nicht ewig feiern.“ Man hat ihn vom Sockel gehoben und total hinterfragt, aber er bleibt. Als Referenzpunkt. Jetzt gibt es einen unverkrampfteren Umgang mit diesem Erbe.

Was für eine Art Genie war Beethoven?

Boecker: Viele Menschen sagen, dass sie etwas Höherem begegnen, wenn sie Beethovens Musik hören. Gleichzeitig wissen wir, dass ihr Schöpfer ein Mensch war.

Hope: Ja, seine Menschlichkeit ist so stark. Den Kampf – auch manchmal den Krampf – beim Komponieren merkt man seiner Musik an, auch seine Skizzen vermitteln das. Du spürst förmlich, wie er mit sich gerungen und geschwitzt hat. Das macht für mich die Faszination dieses Genies aus: Wie jemand mit so vielen Problemen und unter so schwierigen Lebensumständen so ein Lebenswerk hinterlassen konnte. Wir verehren einen Menschen mit Behinderung, der sich ein Musikerleben erkämpft hat – „against all odds“, allen Widerständen zum Trotz!

Konzerte & Projekte im Jubiläumsjahr von Januar bis Juni 2020 in Bonn:

12.3.-20.4.2020

BTHVN Musikfrachter

Eine musikalische Flussfahrt auf Beethovens Reiseroute Bonn-Wien.
Musikvermittlungsprojekt in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Junge Ohren

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