Als Geiger müsse man einmal Beethovens Violinsonaten einspielen, ist Antje Weithaas überzeugt. Im vergangenen Jahr hat die umtriebige Musikerin das Traumprojekt gemeinsam mit Dénes Várjon vollendet. Im Interview spricht sie über diesen Meilenstein, zudem über Freundschaften im Künstlerleben und ihre Tätigkeit als Dozentin. Auch zur aktuellen Kulturpolitik hat sie eine klare Meinung.
Kompromisslos, irre, ein Parthenon, so lauten einige Assoziationen mit Beethovens Violinsonaten. Was verbinden Sie mit diesem Zyklus?
Antje Weithaas: Das ist in erster Linie ein Herzensprojekt, sonst macht man so etwas nicht. Es gibt ja 200 Aufnahmen von diesem Zyklus. Die Violinsonaten zeigen Beethovens Entwicklung: vom frühen, noch mit Haydn verbandelten Komponisten zum Lyriker und Visionär. Opus 96 ahnt den späten Stil voraus und mit der „Kreutzer-Sonate“ gibt es etwas Sinfonisches. Wir haben keine „Hammerklaviersonate“, aber dennoch einen Zyklus, der jeden Geiger und jeden Pianisten extrem herausfordert.
Der Zyklus dürfte alle Gefühlszustände hervorrufen.
Weithaas: In erster Linie durchlebt man das Visionäre in Beethovens Musik, seine unglaubliche Vielschichtigkeit und sein Genie. Eine Überraschung folgt auf die andere! Denken Sie an die a-Moll-Sonate op. 23 mit diesem simplen zweiten Satz, und darauf folgt die Frühlingssonate. Das ist irre. Dénes und ich beschäftigen uns natürlich rational mit den Stücken, aber was in der Konzertsituation passiert, ist jedes Mal ein sehr emotionales und frisches Erleben.
Was würden Sie Beethoven jetzt gerne fragen?
Weithaas: Was er nach Opus 135 noch hätte schreiben wollen, damit ich dieses Werk besser verstehe. Ich denke, dass er die Entwicklung zu seinem späten Stil ohne den Schicksalsschlag der Ertaubung nicht gemacht hätte.
Wie wichtig ist gerade bei so einem Projekt, dass die Chemie mit Ihrem Pianisten stimmt?
Weithaas: Als Geiger möchte man die Sonaten einmal im Leben mit dem richtigen Partner aufnehmen. Dénes und ich schwimmen auf einer Wellenlänge, sodass wir uns gegenseitig inspirieren und die Bälle zuspielen. Denn wir sollten nicht vergessen, dass es Sonaten für Klavier und Violine sind. Beethoven kommt aus der Improvisation, insofern waren wir uns einig, dass die Sonaten in den Tempi viel Freiheit brauchen. Es gibt ja Zeitgenossen, die gesagt haben, Beethoven wäre schon im zweiten Takt in einem anderen Tempo gewesen. Die Metronom-Angaben sind keine sklavische Vorgabe, sondern eine Idee, wie Beethoven den Satz verstanden haben wollte.
Wie haben Sie Dénes Várjon eigentlich kennengelernt?
Weithaas: Wir haben uns Anfang der Neunziger in Davos getroffen, als wir beide noch grün hinter den Ohren waren. Vor ein paar Jahren hatte ich das große Glück, in Schwetzingen gemeinsam mit ihm und Lars Vogt einen sehr intensiven Schumann-Zyklus machen zu dürfen. Allein, dass ich Dénes damals angefragt habe, spricht dafür, dass es einen großen inneren Wunsch von mir gab, mehr mit ihm zu spielen.
Wie wichtig sind Freundschaften im Künstlerleben?
Weithaas: Wir fühlen uns alle an einem Ort zu Hause, aber sind ununterbrochen unterwegs. Insofern sind Freundschaften zu anderen Musikern, mit denen man öfters spielt, auch immer ein wenig wie nach Hause kommen. Auf der anderen Seite hat Musik etwas Sensibles an sich. Wenn man Kollegen gefunden hat, die ein Werk ähnlich empfinden, kann man Risiken eingehen.
Musiker wie Marie-Elisabeth Hecker und Martin Helmchen?
Weithaas: Ja, uns verbindet eine langjährige musikalische und auch persönliche Freundschaft. Wir teilen ähnliche Vorlieben. Nicht umsonst haben die beiden Timothy Ridout und mich zu ihrem Kammermusikfestival nach Fliessen eingeladen. Ich bin zwar viel älter als die anderen, aber freue mich, dass sie mich noch akzeptieren.
Gibt es Freundschaften zu Komponisten?
Weithaas: Ich hätte gern mehr Uraufführungen gespielt, aber entweder hatten mich die Leute nicht auf dem Schirm, oder sie dachten, dass ich so etwas nicht machen würde. Ich wollte jedenfalls nie in einer bestimmten Schublade sein und mache deswegen viele verschiedene Projekte. So fühle ich mich zum Beispiel Jörg Widmann sehr verbunden. Natürlich entstehen hier dann auch musikalische wie persönliche Freundschaften.
Gibt es Komponisten, zu denen Sie immer wieder zurückkommen?
Weithaas: Wenn ich darüber nachdenke, welche Komponisten für mich wichtig sind, lande ich in der deutschen Tradition, beginnend bei Bach. Man kommt immer wieder zu Bach zurück, weil man merkt, dass bei ihm alle ihre Wurzeln haben. Je älter ich werde, desto besser verstehe ich das auch. Bei der Frage nach einem Lieblingskomponisten schwanke ich zwischen Schumann, Schubert und Brahms.
Sie unterrichten an der Kronberg Academy und der Musikhochschule „Hanns Eisler“ in Berlin. Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit an beiden Institutionen?
Weithaas: Das ist schwierig zu sagen. Das Spannende sind die verschiedenen Menschen, mit denen ich arbeite. Die Bedingungen, die Kronberg den Studenten bietet, sind weltweit einzigartig: Allein schon die Dichte an Musikerpersönlichkeiten, die hier vorbeikommen und von denen sie lernen können, dürfte es nirgendwo sonst geben. Der Berliner Musikhochschule fühle ich mich verbunden, weil ich selbst dort studiert und eine super Klasse habe. Derzeit befinde ich mich jedoch in einem Forschungssemester, das Schumann zum Thema hat. Der ist ja leider immer noch ein unverstandenes Genie. In Kooperation mit dem Deutschlandfunk werden Dénes, Marie-Elisabeth und ich seine Klaviertrios aufnehmen.
Was ist das Wichtigste, das Sie Ihren Studenten mitgeben?
Weithaas: Ich will, dass sie auf Grundlage von musikgeschichtlichem und ästhetischem Wissen spielen und ehrfurchtsvoll mit dem Komponisten umgehen, zugleich aber ihre eigene Stimme finden. Ich möchte keine Kopien meiner Selbst. Die größte Herausforderung besteht also darin, die individuellen Stärken und Schwächen jedes Studenten zu erkennen und seinen Ideen nachzuhören. Das ist stets eine Inspiration für mich. Wenn man nichts Neues mehr entdeckt, sollte man aufhören.
Vor wenigen Wochen sorgte der Berliner Senat mit drastischen Sparplänen bundesweit für Aufsehen. Was sagt das über den Stellenwert der Kultur hierzulande aus?
Weithaas: Das ist eine Katastrophe! Wir brauchen Bildung und Kultur dringender denn je, weil wir in einer polarisierten Zeit leben, in der die Leute nicht mehr miteinander reden, wenn sie anderer Meinung sind. Wir brauchen aber kreativ denkende Menschen, die anecken und provozieren, sodass wir uns mit Aspekten jenseits gängiger Denkmuster auseinandersetzen. Dessen ungeachtet bin ich überzeugt, dass Musik die Menschen ein bisschen besser macht. Sie braucht das Miteinander und fördert die Kommunikation. Ich glaube, das täte unserer Gesellschaft ganz gut. Es ist populär, Mittel für die Kultur zu kürzen, weil angeblich so wenig Menschen an ihr interessiert sind, weil sie elitär sei. Kunst ist nicht elitär! Kunst und Bildung machen den Menschen zum Menschen. Zugleich reden wir von Deutschland als Kulturnation.
Anfang Januar hat der Deutsche Kulturrat gefordert, den staatlichen Schutz und die Förderung der Kultur im Grundgesetz festzuschreiben.
Weithaas: Kultur und Bildung sind ein Menschenrecht und eine Notwendigkeit für das Sozialgefüge einer Gesellschaft. Wenn unsere Politiker das nicht verstehen, haben wir bald amerikanische Verhältnisse. Wir sollten nicht sprachlos werden.