Seit bald vier Jahrzehnten steht Anne-Sophie Mutter mittlerweile auf der Bühne: Hochkonzentriert scheint die berühmteste Geigerin der Welt dort stets der Ernst in Person, verzieht kaum eine Miene. Im Interview hingegen lacht und lächelt die Geigerin und kokettiert mit charmantem Understatement – selbst wenn es um ihr Alter geht.
Eigentlich spricht man eine Dame nicht auf Ihr Alter an, aber da es ja überall zu lesen war …
… und ich damit überhaupt keine Probleme habe …
… ist die magische 50 tatsächlich nie ein Thema für Sie gewesen?
Nein, das ist nur eine Zahl. Richtig ist natürlich, dass man mit zunehmendem Alter an seiner sportlichen Form arbeiten muss: Man ist mit 51 zwangsläufig nicht mehr so fit wie mit 30 und so treibe ich, seit ich 40 bin, regelmäßig Sport. Das tut mir sehr gut, befreit enorm und gibt mir auch die nötige körperliche Frische, um mich auf der Bühne zu verausgaben.
Das klingt wie das Credo der Best Ager …
… ich kenne keine Gedanken wie: Huch, die Hälfte des Lebens ist um. Wer weiß, vielleicht bin ich morgen tot – es hat doch gar keinen Sinn, sich über die Dinge aufzuregen. Da halte ich es mit der Fledermaus: Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist.
Andererseits machen einem die 50 auch bewusst, dass …
… man so langsam weise werden müsste. Das ist natürlich ein Problem, denn diesen Ansprüchen kann ich nicht genügen …
… bleiben wir also beim Sport – was steht da bei Ihnen auf dem Trainingsplan?
Joggen bei schönem Wetter – wobei ich am Konzerttag selbst keinen Sport treibe, das wäre kontraproduktiv. Ansonsten hauptsächlich joggen, wandern, bergsteigen – und wenn sonst nichts da ist, gehe ich ins Fitnessstudio und reiße ein bisschen an den Geräten herum.
Und wie oft betätigen Sie sich sportlich?
Drei- bis fünfmal die Woche. Natürlich nicht, wenn ich auf Tournee bin, da gibt es dann schon mal einige Tage, wo ich nichts tue – wobei ein Konzert, abgesehen von der geistig-emotionalen Komponente, ja auch eine große körperliche Anstrengung ist.
Die Sie ja aber dank des Sports locker bewältigen – das klingt, als könne es eigentlich keine Altersgrenze für einen Musiker geben. Oder doch?
Natürlich gibt es für einen kreativen Menschen keine Altersgrenze, aber es kommt sicher der Tag, an dem die Feinmotorik nicht mehr den hohen Ansprüchen genügt, die man an sich selbst hat. Dann ist die Frage: Stelle ich die Feinmotorik auf die gleiche Stufe wie die geistigen Früchte, die ich jetzt ernten kann und über die ich vor 30 Jahren noch nicht verfügen konnte?
Und wie lautet die Antwort?
Es gibt darauf nur zwei Antworten. Zum einen die der stürmischen Jugend, die ich gegeben habe, als ich den großen Nathan Milstein Ende der 70er Jahre mit meiner wunderbaren Lehrerin Aida Stucki in Luzern das Brahms-Konzert spielen hörte: Er hatte offensichtlich technisch große Mühen, und ich habe das körperlich als sehr bedrohlich empfunden, er tat mir wahnsinnig leid. Doch im Sturm und Drang der Jugend geht man davon aus, dass solch eine menschliche Schwäche nicht auf die Bühne gehört.
Und die andere Antwort?
Im Laufe der Jahre habe ich viele Dirigenten begleitet, die genau wie ich älter wurden – und habe dabei doch immer wieder festgestellt, dass über allem der Geist steht. Der Geist, der ein Orchester in einer Art und Weise zu inspirieren vermag wie ein jüngerer Musiker das zwangsläufig nicht kann, weil ihm eben das gelebte Leben und Leiden, vielleicht auch das körperliche Leiden fehlt.
Bleibt die Frage nach Ihrer ganz persönlichen Antwort.
Ich scheine mich da noch in der Mitte zu befinden. Aber ich weiß nicht, wie ich darüber denken werde, wenn ich subjektiv der Meinung bin, ich hätte musikalisch noch so ungeheuer vieles zu sagen, aber der Körper es nicht mehr in der makellosen Perfektion zu präsentieren vermag, die wir alle von uns selbst erwarten.
Macht Ihnen eine solche Aussicht Angst?
Überhaupt nicht. Ich habe zwei großartige Kinder, ein total erfülltes Leben, meine Stiftung, viel zu viel Arbeit, viel zu viel Neugierde auf neues Repertoire – mir macht eigentlich nichts Angst, was mich selbst betrifft, sondern wie jeder Mutter nur alles, was die Kinder angeht. Allein um deren Perfektion auf der Bühne sorge ich mich nicht.
Nun beginnen Ihre Kinder, ihre eigenen Wege zu gehen, beide studieren – fällt Ihnen diese Abnabelung schwerer oder Ihren Kindern?
Wir tun gegenseitig so, als ob das alles ganz easy ist. Doch ich denke, meinen Kindern fällt es leichter als mir – allerdings bemühe ich mich, cool zu bleiben, was ich aber leider nicht unbedingt bin.
Und wie gehen Sie dann damit um?
Man muss sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass Kinder eine Leihgabe sind und kein Besitz – genauso wenig wie man seinen Ehepartner besitzt. Man darf sie eine Weile in eine Richtung weisen, die man für lebenswert hält und sie auf einiges vorbereiten, doch letztlich haben wir alle unsere Erfahrungen selbst gemacht. Nicht immer nur gute, doch mit jeder Erfahrung wird man ja auch … nicht unbedingt klüger, aber einfach besser präpariert.
Besuchen Ihre Kinder noch regelmäßig Ihre Konzerte?
Wenn es sich ergibt, dann schon – zumal es sie nichts kostet, denn sie bekommen ja Freikarten: Wenn man dann nicht kommt, ist einem eh nicht zu helfen.
Musikalisch wird es von den beiden vermutlich keine Kritik geben, aber gibt es von Ihrem Sohn und Ihrer Tochter schon mal andere Anmerkungen zu Ihren prachtvollen Roben?
Nein, so ernst nimmt man mich zuhause nicht.
Dann stelle ich mal die Frage: Was ist das Besondere an diesen Dior-Roben, denen Sie ja schon seit Jahrzehnten die Treue halten?
Sie sind einfach bequem. Das ist ein Komfortfaktor, und ich möchte ungern irgendetwas auf der Bühne verändern, was mich von der Musik ablenken könnte: Höhere Schuhe, flachere Schuhe, spitzere Schuhe – Pustekuchen! Es ist gut, so wie es ist, ich möchte mich ganz auf das Konzert konzentrieren können, und entsprechend sind die Kleider seit Jahrzehnten immer dieselben in wechselnden Farben.
Böse Zungen würden da die Frage stellen …
… also doch noch mal… daran merke ich, wir kommen zum Ende …
… ob wegen der teuren Kleider auch Ihre Gagen so hoch sind.
Ich denke, das ist Angebot und Nachfrage – so wie überall.
Aber finden Sie es nicht bedauerlich, wenn sich gerade viele junge Menschen ob der hohen Eintrittspreise einen Konzertbesuch nicht leisten können?
Wenn ich sehe, was eine Karte für ein Fußballspiel kostet und wie voll die Stadien jedes Wochenende sind, dann wage ich im Umkehrschluss zu behaupten: Das Problem ist doch nicht der Kartenpreis, sondern dass wir mittlerweile bereits die zweite, wenn nicht dritte Generation von Kindern haben, an denen die Musik bewusst vorbeigeführt wird.
Inwiefern?
Klassik spielt in den Medien keine Rolle, es gibt in der Schule höchstens zwei Musikstunden pro Woche und die klassische Musik wird in eine elitäre Elfenbeinecke geschoben, wo sie nicht hingehört. Musik gehört genauso zum Leben wie Literatur: Wir lernen ja auch das Lesen und das Rechnen – und gemeinsames Musizieren bringt mehr Spaß und vor allem mehr sozial wichtige Komponenten in das Leben eines Kindes.
Die bisweilen hohen Eintrittspreise sind also kein Grund für den Mangel an jungem Publikum in Klassikkonzerten?
Nein. Die Frage lautet: Wieviel ist es uns wert, im täglichen Leben eines kleinen Kindes das Bewusstseinsfenster zu öffnen für eine Welt, die die Imaginationskraft fördert und das Miteinander in den Vordergrund stellt? Musik quasi als olympische Disziplin: Ich hole das Beste aus mir selbst heraus und tue es mit anderen zusammen. Meiner Meinung nach geht die andere Fragestellung völlig vorbei an dem wunden Punkt unserer Zeit.