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Kurz gefragt Alexandre Tharaud

„Ich habe kein Klavier zu Hause“

Alexandre Tharaud gehört zu den empfindsamsten Pianisten seiner Generation. Hier spricht der Franzose über…

vonChristian Schmidt,

… Flügel in den eigenen vier Wänden

 

Ich habe seit fast über einem Jahrzent kein Klavier zu Hause. Diese Distanz brauche ich, zumal ich ohnehin gern auf unterschiedlichen Klavieren spiele. Außerdem bin ich sehr oft unterwegs. Wie bei alten Ehepaaren erscheint es mir besser, getrennt von meinem Flügel zu leben.

… den Unterschied zwischen Vorbereitung und Probe

 

Das ganze Leben ist eine Probe! Ich bereite meine CDs bis zu zehn oder 20 Jahre vor. Dieser Wunsch geht sehr tief: Natürlich kann ich ein neues Werk auch in ein paar Wochen einstudieren. Aber ich denke, dass die Proben viel wichtiger als die Aufführung sind. Im Konzert muss man die Proben vergessen. Arbeitet man zu viel, geht die Inspiration verloren.

… Inspiration

 

Das heißt: sich frei fühlen. Ein gutes Gefühl für Publikum, Bühne und Akustik haben. Eine Beziehung zum Instrument aufnehmen. Ihm zuhören. Wir sind zwei Akteure auf der Bühne: das Klavier und ich – entsprechend kann das in zwei Konzerten sehr unterschiedlich sein.

… Klangästhetik

 

Meine erste Lehrerin wollte mit der Tastatur sprechen – das prägt mich noch. Alle Klaviere sprechen auch: Zum Beispiel klingt es am Morgen ganz anders als am Abend. Ich muss freundlich zu ihm sein, dann kommt es zu mir.

… Empfindsamkeit

Die fehlt einigen Pianisten: Sie musizieren wie in einer Blase. Ich versuche, die Welt um mich herum wahrzunehmen.

… Endgültigkeit von Interpretationen

 

Die existiert nicht. Was auch am Publikum liegt: Das ist überall anders – die Hälfte hört mir zu, die andere Hälfte dem Klavier.

… Alte Musik

 

Eine meiner Leidenschaften! Ich habe sehr viele CDs mit Alter Musik aufgenommen, die erste vor vielen Jahren, demnächst spiele ich die Goldberg-Variationen ein. Diesen inegalen Habitus der Barockmusik lernt man nicht im Konservatorium. Ich habe vielen Cembalisten zugehört, um meinen eigenen Weg auf dem modernen Flügel zu finden. Das ist sehr spannend, weil das moderne Klavier viel mehr Klangfarben als ein Cembalo hat, es ersetzt ein ganzes Orchester.

… zeitgenössische Werke

 

In nächster Zeit werde ich das Klavierkonzert für die linke Hand des dänischen Komponisten Hans Abrahamsen in Köln uraufführen und danach mit verschiedenen Orchestern spielen, was eher ungewöhnlich für die Neue Musik ist. Ich bin in der Mitte meines Lebens und werde nicht die Zeit haben, alles zu spielen, was ich will. Eine besondere Verantwortung spüre ich für die Zeitgenossen nicht, denn Verantwortung hat man für jede Art von Musik. Doch sollte es normal sein, Zeitgenössisches zu spielen.

… Wettbewerbe

 

Die sind für die Pianisten meiner Generation nicht wichtig. Einmal war ich bei einem Wettbewerb in Polen – bei einem der wenigen, die wirklich interessant sind, weil man hier eine unnachahmliche Energie spürt. Zudem: Wer dort gewinnt, bekommt die Chance, viele unterschiedliche Konzerte zu spielen. Generell haben wir aber zu viele Wettbewerbe, sie sind nicht mit der Musik kompatibel: Denn wer spielt schon wirklich besser als der andere? Das ist absurd. Es geht viel um Virtuosität, aber nicht um den Geist der Musik, um Gefühle oder Empfindsamkeit. So etwas kann man nicht vergleichen. Wenn du einen Pianisten verstehen willst, höre seine CD, den letzten Track, die Stille danach.

… Klavierlehrer

Ich denke immer an meine erste Klavierlehrerin, sie war wichtiger als alle nachfolgenden. Die besten Lehrer für einen Pianisten aber sind Sänger. Ich verehre zum Beispiel Barbara, die Chansonsängerin: Die Stimme ist dem Klavierspiel sehr ähnlich, und ich habe viel von ihr gelernt.

… Klavierschüler

 

Ich weiß nicht warum, aber als Lehrer eigne ich mich nicht sonderlich. Manchmal gebe ich Meisterklassen, aber ich mag das nicht besonders, weil ich mit Schülern und Publikum sprechen muss. Das lenkt mich ab, außerdem hat man dafür nie genug Zeit. Ich bin dann immer frustriert und gehe lieber mit den Schülern Kaffee trinken und rede mit ihnen. Denn ich sehe sie spielen und weiß schon, was falsch ist. Das hat mit Technik nichts zu tun, sondern mit dem Leben.

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