Vielerorts feiern Kulturinstitutionen in diesem Jahr Dmitri Schostakowitsch und seine Musik anlässlich seines fünfzigsten Todestages am 9. September. Mit herausragender Ambition, einem kaleidoskopischen Programm und einer erlesenen Schar an Weltklasse-Künstlern ehrt das Gewandhausorchester Leipzig den großen Komponisten und lädt zu einer umfassenden Werkschau ein: Beim Schostakowitsch Festival Leipzig sind vom 15. Mai bis 1. Juni in der Musik- und Messestadt sowohl sämtliche Sinfonien, Solokonzerte und Streichquartette als auch weitere wichtige Kammermusikwerke und selten gespielte Partituren zu erleben. Mit zwei Aufführungen von „Lady Macbeth von Mzensk“ wirft das Festival zudem ein Schlaglicht auf Schostakowitschs Opernschaffen.

Transatlantische Verbindungen
An insgesamt zwölf Abenden erklingen unter der Leitung von Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons und Anna Rakitina die fünfzehn Sinfonien und sechs Instrumentalkonzerte. Als Solisten haben sich Geigerin Baiba Skride, Cellist Gautier Capuçon und Pianist Daniil Trifonov angekündigt. Der Zyklus steht ganz im Zeichen der transatlantischen Verbindung, die das Gewandhausorchester seit 2018 mit dem Boston Symphony Orchestra pflegt. So werden beide Klangkörper in Leipzig zu hören sein. Die Gäste von der US-amerikanischen Ostküste nehmen sich der elften Sinfonie „Das Jahr 1905“ und dem ersten Violinkonzert (16.5.) an, gefolgt von den Kontrasten zwischen der achten – der mittleren der drei sogenannten „Kriegssinfonien“ – und dem ersten Cellokonzert (17.5.) sowie der Gegenüberstellung der sechsten und fünfzehnten Sinfonie (18.5.). Die Gastgeber aus Leipzig wiederum gestalten das Auftaktkonzert mit der vierten Sinfonie und dem zweiten Klavierkonzert (15.5.), durchschreiten das Spätwerk des Komponisten mit der dreizehnten Sinfonie „Babi Jar“ und dem zweiten Violinkonzert und eröffnen im Festivalfinale reizvolle Gegensätze zwischen der lyrischen, den Tod thematisierenden vierzehnten Sinfonie und der beliebten Nr. 10, in dessen Schlusssatz Schostakowitsch seine Initiale „DSCH“ einflocht.
Ferner schließen sich eigens für das Festival rund achtzig junge Musikerinnen und Musiker aus den Akademien beider Ensembles, verstärkt durch Studierende der Hochschule für Musik und Theater Leipzig, zu einem einzigartigen Projektorchester zusammen. Dieses wird die gern gespielte fünfte Sinfonie in Kombination mit dem zweiten Cellokonzert (19.5.), das Doppelkonzert für Klavier und Trompete gemeinsam mit der Zwölften und Neunten (31.5.) sowie die drei ersten Sinfonien (29.5.) interpretieren.

Geschichtsbewusster Dreiklang
Eine besondere Stellung in der Biografie des Komponisten nimmt hingegen die siebte Sinfonie ein. Sie entstand unter dem Eindruck der Hungerblockade des heutigen Sankt Petersburg im Zweiten Weltkrieg und wurde ebendort im August 1942 uraufgeführt. Das Werk sei Schostakowitschs „Protest gegen jegliche Art von Krieg oder Unterdrückung“, sagt Andris Nelsons: „Die Geschehnisse liegen nicht in allzu ferner Vergangenheit, und wir sehen leider, dass sich die historischen Ereignisse in unserer Gegenwart wiederholen. Wir müssen uns dessen bewusst sein.“ Grund genug, dem Stück die ganz große Bühne zu bereiten. Musiker des Gewandhausorchesters und des Boston Symphony Orchestra werden die „Leningrader“ gemeinsam an drei aufeinanderfolgenden Abenden (22., 23. & 24.5.) spielen.
Auch jenseits des sinfonischen Œuvres wartet das Festival mit Höhepunkten nicht nur für Schostakowitsch-Liebhaber auf. Yulianna Avdeeva hat auf Initiative der Veranstalter die höchst anspruchsvollen 24 Präludien und Fugen op. 87 für Soloklavier einstudiert, live zu hören am 30. Mai. Der Zyklus ist eng mit der Messestadt verbunden, wurde er doch infolge der Begegnung zwischen dem Komponisten und der Pianistin Tatjana Nikolajewna beim Bach-Wettbewerb 1950 und inspiriert von Bachs Spuren vor Ort komponiert. Nur wenige Virtuosen – unter ihnen übrigens außer der Widmungsträgerin Nikolajewna soweit bekannt keine Frau – haben seitdem die Herausforderung angenommen, den Mammutzyklus an einem Abend zu spielen.

Luxuriös besetzte Kammermusik
Hochkarätige Quartettkunst verspricht das belgische Quatuor Danel, das alle fünfzehn Streichquartette im Mendelssohn-Saal des Gewandhauses aufführen wird (17., 18., 24., 29.-31.5.). Für die beiden Streichoktette op. 11 schließt sich die Formation überdies mit dem Gewandhaus Quartett zusammen (18.5.). Darüber hinaus erklingen mit den Klavier-, Violin-, Viola- und Cellosonaten sowie beiden Klaviertrios und dem Klavierquintett die zentralen Kammermusikwerke, allesamt in luxuriöser Besetzung. Zwei von Elena Bashkirova kuratierte Liederabende (26./27.5.), u. a. mit Bass Günther Groissböck und Sopranistin Elena Stikhina, runden den Reigen ab, auf dem Programm stehen etwa die Michelangelo-Suite op. 145 und der Zyklus „Aus jiddischer Volkspoesie“.
In seiner ambitionierten Werkschau räumt das Schostakowitsch Festival Leipzig auch weniger bekannten Stücken seines Namensgebers Platz ein. So präsentiert das Salonorchester Cappuccino in zwei Konzerten Bühnen- und Unterhaltungsmusiken (16.5.) und ein Märchenprogramm für das junge Publikum (31.5.). Weitere Perspektiven auf Schostakowitsch eröffnen Elena Yakovichs Dokumentation „Two. The Story Told By Shostakovich’s Wife“ (16.5.) und das Biopic „Testimony” (23.5.) von Tony Palmer. Beide Regisseure werden ihre Filme in Leipzig persönlich vorstellen.