Es gibt viele Arten, die Geschichte einer Stadt zu erzählen. Man kann dies etwa anhand der Mächtigen tun, die den Ort geprägt haben. Oder man besucht die schönsten und wichtigsten Gebäude einer Stadt und berichtet über deren Bedeutung und die Ereignisse, die sich dort abgespielt haben. In Bad Homburg gibt es aber noch eine dritte Möglichkeit: Die Stadt im Hochtaunuskreis verfügt nämlich über eine bemerkenswerte Dichte an historisch wertvollen Orgeln. Insofern huldigt das Orgelfestival Fugato, das hier seit 1995 alle zwei Jahre stattfindet, nicht nur der Königin der Instrumente, sondern erzählt auch auf klangvolle Weise von der Geschichte der Stadt – oder die Orgeln haben selbst eine wechselvolle Geschichte wie die Bürgy-Orgel in der Schlosskirche. Erbaut wurde sie vom Homburger Orgelbaumeister Johann Conrad Bürgy in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts, einer Zeit, in der es finanziell um das Haus Hessen-Homburg nicht allzu rosig bestellt war. Im Laufe der Jahrzehnte verkam das Instrument, erst recht, als Anfang des 20. Jahrhunderts in unmittelbarer Nachbarschaft des Schlosses die Erlöserkirche eingeweiht wurde und von da an die Gottesdienste dort stattfanden. Doch vor etwa dreißig Jahren wurde das historisch bedeutsame Instrument dank einer Initiative Bad Homburger Bürger und der Orgelfirma Förster & Nicolaus wieder zum Klingen gebracht.
Ein spektakuläres sinfonisches Soundgewitter
Bei der diesjährigen Ausgabe von Fugato zeigt am 20.9. Wolfgang Zerer mit Werken von Muffat bis Brahms, welches Glück es ist, dass dieses Schmuckstück so aufwändig wiederhergestellt wurde. Der musikalisch-literarische Abend wird vollendet durch den Philosophen und Autor Rüdiger Safranski, der aus seiner aktuellen Biografie über Friedrich Hölderlin liest. Auch der große Lyriker, der hier mehrere Jahre lebte, ist Teil der Geschichte von Bad Homburg. Zwei Tage später, am 22.9., wird am selben Konzertort mit Pianist Julius Asal als einer der herausragendsten Interpreten seiner Generation „Das Klavier als Orgel“ vorstellen.
Überhaupt gehört es zur DNA von Fugato, dass international bekannte Organisten auf renommierte Vertreter anderer Künste oder musikalischer Genres treffen. Neue klangliche Horizonte eröffnen schon die Auftaktkonzerte am 17. und 18.9. in der Erlöserkirche, bei denen das Publikum in den Genuss von gleich zwei sinfonischen Klangkörpern kommt – dem Jugend-Sinfonie-Orchester Hochtaunus und der Neue Philharmonie Frankfurt. Drittes Ensemble in diesem opulenten musikalischen Bunde ist die vierköpfige Rockband der Neuen Philharmonie Frankfurt, Solistin des Abends ist Susanne Rohn an der Hammond-Orgel. Über das Publikum wird sich damit ein spektakuläres sinfonisches Soundgewitter entladen mit Musik unter anderem von Supertramp, Santana, Genesis und van Halen.
Stummfilmkonzerte als Tradition
Eine weitere Tradition bei Fugato ist inzwischen auch der Stummfilm. Diesmal improvisiert David Franke in der Erlöserkirche zu Wallace Worsleys Verfilmung von Victor Hugos „Der Glöckner von Notre Dame“ von 1923, die seinerzeit aufgrund der aufwändigen Filmkulissen für offene Münder beim Kinopublikum gesorgt hat. Ganz anders präsentiert sich ein weiteres Stummfilmkonzert: Zu „Fugato 22 – Der Film“, einem kunstvollen Zusammenschnitt von spektakulären Drohnenaufnahmen der Erlöserkirche, wird Stefan Viegelahn an der berühmten Sauer-Orgel improvisieren. Zuvor interpretiert er Werke von Bach und Reger. Die 1908 eingeweihte Orgel ist mit 4000 Pfeifen und vier Manualen die größte der Stadt und eines der wenigen vollständig erhaltenen Exemplare aus der Werkstatt Wilhelm Sauers. Auch sie hat eine wechselvolle und spannende Geschichte zu erzählen: In den dreißiger Jahren wurde die Orgel einem zeitgemäßen Klangideal angepasst – aus späterer Sicht eine hochproblematische Maßnahme, die dem wertvollen Instrument deutlich mehr geschadet als genützt hat. In den achtziger Jahren machte man sich daran, den damaligen Umbau wieder rückgängig zu machen, und hat die Orgel dabei so behutsam wie fachkundig modernisiert.
Musik für Jung und Alt
Zwei weitere Veranstaltungen der ganz besonderen Art in der Erlöserkirche richten sich insbesondere an die jüngeren Musikfans: Am 21. September nimmt der gewitzte Vogel Piep der Pieper Kinder ab fünf Jahre auf eine zauberhafte musikalische Entdeckungsreise. Die Geschichte hat der große Organist, Komponist und Illustrator Guy Bovet verfasst, der an der Orgel zu erleben ist, die Schauspielerin Johanna Krumstroh übernimmt die Rezitation. Am späten Nachmittag übernimmt dann David Fanke mit einem Konzertprogramm, über das vor Ort die jugendlichen Besucherinnen und Besucher entscheiden werden, denn sie dürfen sich Musiktitel jedweden Genres wünschen.
Apropos Nachwuchs: Auch in diesem Jahr bekommen hochbegabte studierende Jungmusiker wieder die Chance, sich in Meisterklassen weiterzubilden oder sogar den Fugato-Förderpreis zu gewinnen. Und für fortgeschrittene Jugendliche aus der Region wird ein Improvisations-Workshop angeboten. Am 23.9. dürfen dann in St. Marien drei Studierende, die zu den glücklichen Förderpreisträgern gehören, um den Publikumspreis spielen. Die Besucher dürfen somit auch gleich als Jury fungieren – und sich von einer weiteren prachtvollen Orgel in Bad Homburg überzeugen lassen. Übrigens können sich Interessierte bereits am 14.9. als Einstimmung auf das Festival auf eine Spurensuche zu den ältesten Orgeln im Taunus begeben: Die Nachmittagsexkursion beginnt um 14 Uhr am Bahnhof von Bad Homburg.