Ein fantastisches Panorama mit Blick über den Bodensee und mindestens ebenso fantastische musikalische Erlebnisse erwarten die Besucherinnen und Besucher der Bregenzer Festspiele 2024. Erstmals wird der Jägerbursche Max aus Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“ auf der Seebühne in die Wolfsschlucht hinabsteigen, um seine sieben magischen Gewehrkugeln zu gießen, während sein falscher Freund Kaspar ihm dabei zur Seite steht und hinterrücks dem Teufel überantwortet. Keine Geringeren als Regisseur Philipp Stölzl und Dirigent Enrique Mazzola konnten für das Projekt gewonnen werden. Beide bringen Seebühnenerfahrung mit, haben sie hier doch vor fünf Jahren schon einen umjubelten „Rigoletto“ realisiert.
Aber die Festspiele in der Vorarlberger Landeshauptstadt haben noch mehr zu bieten. So hat Elisabeth Sobotka in ihrem letzten Jahr als Intendantin noch weitere Perlen des Musiktheaters auf die Programmschnur gezogen. Darunter Gioachino Rossinis frühe Oper „Tancredi“, mit der sich der Meister des Belcanto von seiner ernsten Seite zeigt und die nur selten auf den Spielplänen steht. Unter der Regie von Jan Philipp Gloger übernimmt die französische Sopranistin Mélissa Petit im Theater am Kornmarkt die Partie der Amenaide, deren Liebesglück an der Staatsräson zerbricht.
Unterschiedliche Heiratsvorstellungen haben Vater und Tochter auch in Rossinis komischer Oper „Der Ehevertrag“, die Brigitte Fassbaender mit den Sängerinnen und Sängern des Opernstudios in Szene setzt, wobei an den drei Aufführungsabenden noch ein weiterer Einakter das Thema Erbschaft auf satirische Weise aufgreift: Giacomo Puccinis „Gianni Schicchi“. Indem er in die Haut des bereits verstorbenen Patriziers Buoso Donati schlüpft, verteilt der gerissene Titelheld den Nachlass unter den eigentlich enterbten Verwandten – wobei er sich selbst den größten Teil des Erbes zuschanzt. Auch die Resultate einer Meisterklasse, die die Sängerinnen und Sänger im Vorfeld bei Fassbaender durchlaufen, werden dem Publikum präsentiert.
Ganz besondere Operettenerlebnisse
Ein ganz besonderes Operettenerlebnis verspricht „Hotel Savoy“ nach dem gleichnamigen Roman von Joseph Roth mit der Musicbanda Franui. Bearbeitete und rekomponierte Hits von Operettenkomponisten, die von den Nationalsozialisten verfolgt und vertrieben wurden, treffen auf eine bunte Riege von Hotelgästen, die die zersplitterte Gesellschaft in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg widerspiegelt. Zwei weitere Uraufführungen finden auf der Werkstattbühne statt. In „Unmögliche Verbindung“ des deutschen Regisseurs und Autors Thomas Fiedler und des tschechischen Komponisten und Dirigenten Ondřej Adámek verwandelt sie sich in einen magischen Versammlungsort, an dem Menschen aufgrund emotionaler Überforderungen in Sprachlosigkeit verfallen. Das Ensemble Modern, das die Sängerinnen und Sänger des Bregenzer Festspielchors begleitet, war von Beginn an am kreativen Prozess des Komponierens beteiligt.
Auch die Oper „Hold Your Breath“ ist Resultat eines gemeinschaftlichen Prozesses, an dem die Komponistin Éna Brennan, der Regisseur, Librettist und ehemalige Festspielintendant David Pountney und der bildende Künstler Hugo Canoilas mehrere Jahre im Rahmen des Opernateliers beteiligt waren: Ein oktopusartiges Wesen übt einen geheimnisvollen Einfluss auf die Menschen aus, die in einer emotionslos durchorganisierten Gesellschaft leben. Die Stimmen und Bewegungen der Sängerinnen und Sänger sowie Tänzerinnen und Tänzer verbinden sich dabei mit live gespielten und elektronisch weitergetragenen Klängen. Eine Veranstaltung gibt im Vorfeld Einblicke in die Arbeit des Künstlerteams.
Neben den Musiktheateraufführungen locken die Bregenzer Festspiele aber auch mit Instrumentalmusik. So stellen die vier Orchesterkonzerte der Wiener Symphoniker Ludwig van Beethovens „Pastorale“, Robert Schumanns „Rheinischer“ und Gustav Mahlers erster Sinfonie Werke von Carl Maria von Weber, Antonín Dvořák, Igor Strawinsky, Emilie Mayer und Thomas Larcher an die Seite, während mit Giedrė Šlekytė, Enrique Mazzola, Petr Popelka und Leo McFall die musikalische Leitung jeweils in allerbesten Händen liegt. „Ganz persönlich“ wird es in drei Konzerten, in denen Mitglieder der Wiener Symphoniker in wechselnden Kammermusikbesetzungen ihre Lieblingskompositionen präsentieren. Romantik und Moderne treffen aufeinander, wenn die jungen Musikerinnen und Musiker der 2022 gegründeten Orchesterakademie die Früchte ihrer einwöchigen Arbeit mit dem israelischen Dirigenten Daniel Cohen zur Verkostung anbieten: Das Programm reicht von Richard Strauss über Arnold Schönberg bis zu Béla Bartók.
„Freischütz“ in allen Facetten
Anknüpfend an den Themenkomplex des „Freischütz“, der auf der Seebühne trotz entmutigender Umstände sein Ziel nie aus den Augen verliert, hat das Vokalquintett The Present im Kunsthaus Bregenz Musik aus mehreren Jahrhunderten zu einer erbaulichen Stunde des Gesangs verbunden, während auch im Rahmen der dreiteiligen Reihe „Musik & Poesie“ mit der Volkssage, die Webers Oper zugrunde liegt, Bezug auf den „Freischütz“ genommen wird. Hier können die Besucherinnen und Besucher der Festspiele aber auch den Erzähler Michael Köhlmeier erleben und dessen von Marcus Nigsch vertonte Gedichte. Zu einem Augenzwinkernden Abschied für Festspielintendantin Elisabeth Sobotka lädt indes Kunstpfeifer Nikolaus Habjan unter dem Titel „Ich pfeif‘ auf die Sobotka“. Nicht zuletzt sind auch drei Schauspielinszenierungen Teil des Festspielprogramms: Mit Molières Komödie „Der Menschenfeind“ war das Burgtheater bereits am Osterwochenende zu Gast, Heinrich von Kleists Lustspiel „Der zerbrochne Krug“ unter der Regie von Anne Lenk als Gastspiel des Deutschen Theaters Berlin und „Mondmilch trinken“ aus der Feder des Salzburger Autors und Regisseurs Josef Maria Krasanovsky. Das Siegerstück des Wettbewerbs der Österreichischen Theaterallianz 2023 ist inhaltlich angelehnt an Webers „Freischütz“ und wird in Koproduktion mit dem klagenfurter ensemble und dem Theater KOSMOS in Bregenz uraufgeführt.