Der Mond ist fern – und doch so nah. Seit der stumme Erdbegleiter vor Urzeiten am Nachthimmel erschienen ist, spukt er in den Köpfen und Herzen der Erdbewohner herum. Angeheult wird er (von Wölfen), angesteuert (von Astronauten), angehimmelt und besungen (von Liebespaaren und Komponisten). „Mondschein“ ist zudem definitiv Beethoven – wenn auch ungewollt, denn dessen berühmte Klaviersonate op. 27 Nr. 2 haben andere so betitelt.
Warmlaufen zu Beethovens Geburtstag
Mondschein geht immer. Das dachte sich auch Nike Wagner, Intendantin des Beethovenfests Bonn. Seit 2014 leitet sie die Geschicke des Festivals, das in diesem Jahr mit 46 Veranstaltungen an insgesamt 24 Spielstätten in Bonn und der rheinischen Umgebung aufwarten kann. Im Antrittsjahr gab sie das Motto „Götterfunken“ aus, gefolgt von „Veränderungen“ bis hin zum „Schicksal“ im vergangenen Jahr.
Etwas weniger „tonnenschwer“ und grüblerisch sollte es diesmal sein, sagt sie. Denn der Mond ist nur ein Zwischenstopp, bevor sich die Geburtsstadt des Komponisten – und mit ihr die ganze Welt – im kommendem Jahr an die ganz große Transzendenz heranwagt. Dann ist Beethovenjahr, 250 Jahre wird der Meister alt. Man feiert Auferstehung: „Ja, das wird das Thema. Aber vorher legen wir ein lyrisches Intermezzo ein.“ Das biete Platz zum Aufatmen, Innehalten, vielleicht auch ein wenig zum Schwelgen. „Es ist ein in exzessiv romantisches Thema.
Neben der heimlichen silbrigen Schönheit und der Gemütsempfindung gibt es aber auch das Unheimliche, das Bizarre.“ Kuschelklassik wird es bestimmt nicht werden, wenn Pierre-Laurent Aimard die erwähnte Sonate mit Werken von Messiaen, Ligeti und Boulez kontrastiert.
Puzzle spielen
Die Moderne und das zeitgenössische Repertoire haben mit Nike Wagner ihren festen Platz beim Festival gefunden. Intellektuell und verkopft ist das nicht, eher so wie die Intendantin, wenn sie richtig loslegt und dieses Image (wie auch ihr eigenes) mit funkelnden Augen und pfeilgerader, leicht rauchiger Stimme beiseite fegt. Der österreichische Komponist, Dirigent und Chansonnier HK Gruber, „ein wunderbarer Musiker, sprühend vor Gedanken, Witz und Charme“, hat es ihr zum Beispiel angetan. Gruber dirigiert „Die sieben Todsünden“ von Bert Brecht und Kurt Weill in der von ihm erstellten neuen Fassung für Kammerensemble.
Es habe einige Zeit in der Vorbereitung gebraucht, um sich unter anderem mit der Kurt Weill Foundation zu einigen, erklärt Wagner. Diese langwierigen Prozeduren kennt die Intendantin, die zuvor Leiterin des Kunstfestes Weimar war. Damit alles zusammenpasst, die Idee schließlich Gestalt annimmt und dem Festivalgedanken entsprochen werden kann – nämlich Beethovens Werk nicht museal zu sehen, sondern als „unerschöpfliches Kraftzentrum zur lebendigen Auseinandersetzung“ anzuzapfen – müsse man eben Puzzle spielen.
„Ich versuche möglichst keine Tourneeorchester zu verpflichten, sondern rechtzeitig anzufragen und mich mit den Künstlern auszutauschen. Das kann dauern. In diesem Jahr haben wir zum Beispiel Christian Gerhaher endlich dabei. Ich kann es kaum fassen!“ Auf den Abend mit dem weltweit gefragten Bariton freut sie sich besonders. Zusammen mit dem Pianisten Gerold Huber interpretiert er Purcell-Lieder in der Bearbeitung von Benjamin Britten sowie russische und deutsche Lieder des 19. Jahrhunderts. „Ohne Sonne“ ist das Programm überschrieben.
Ganz Bonn ist involviert
Bei aller Internationalität wird jedoch nicht die heimische Basis vergessen. Beethoven ist Bonn und Bonn ist Beethoven. Bereits 1845, keine zwanzig Jahre nach Beethovens Tod, fand erstmals ein dreitägiges Musikfest anlässlich des 75. Geburtstages des Komponisten statt. Heute prägen die alljährlichen drei Festwochen im September die Stadt. Kaum ein Bewohner wird behaupten können, nichts davon gehört zu haben. Auch auf öffentlichen Plätzen finden Veranstaltungen statt, mit „Ludwig + Du“ werden Kinder und Jugendliche angesprochen. Und Musiker und Ensembles der rheinischen Heimat sind involviert.
„Am besten kann man natürlich mit dem heimischen Orchester programmieren“, so die Intendantin. Wagner schätzt die Zusammenarbeit mit Dirk Kaftan, Generalmusikdirektor des Beethoven Orchesters Bonn. Unter seiner Leitung wird Gustav Mahlers 7. Sinfonie erklingen. Für die Kritiker der Wiener Erstaufführung enthielt der Finalsatz des 1908 uraufgeführten Werks zu viel Jubel. Aber was geschieht davor? Zwei der fünf Sätze sind mit „Nachtmusik“ überschrieben, dazu das schattenhafte Scherzo genau in der Mitte. Vielleicht liegt der dort angesiedelte spukhafte Walzer jedoch in kalter weiter Ferne: auf der dunklen Seite des Mondes.