Es ist ein idyllischer Bade- und Kurort, der die Besucher des Baltic Opera Festivals in diesem Jahr empfängt. Zoppot (polnisch: Sopot) an der Ostsee, etwa neun Kilometer nordwestlich von Danzig gelegen, war einst ein Fischerdorf. Das slawische Wort des Ortsnamens bedeutet „Quelle“. Das betriebsame Dörfchen gehörte seit 1283 zum Zisterzienserkloster Oliva und bis 1807 zur Hansestadt Danzig. 1823 eröffnete der elsässische Arzt Johann Georg Haffner den ersten Strandbadbetrieb mit Kursanatorium. Pferderennen und eine Segelregatta lockten vor dem Ersten Weltkrieg die Prominenz an, 1919 eröffnete ein luxuriöses Spielkasino.
Aber eigentlich lag der Ort damals ganz nah an Bayreuth – zumindest musikalisch. In einem lauschigen Wäldchen feierte man ab 1909 die Opernfestspiele, die ab 1922 zu den Richard Wagner-Festspielen wurden. Fortan nannte man Sopot das „Bayreuth des Nordens“. Eine Legende war geboren. Das Festival galt als Karrieresprungbrett für junge Sängerinnen wie Frida Leider, die hier unter anderem in „Die Walküre“, „Die Götterdämmerung“ und „Tannhäuser“ zu hören war. 1928 debütierte sie in Bayreuth als Kundry.
Im Wettstreit mit Bayreuth
Zu diesem Zeitpunkt gab es noch einen freundlichen Austausch zwischen Nord und Süd. 1937 war es damit vorbei. Hermann Merz, der ambitionierte künstlerische Leiter der Zoppoter Festspiele, versuchte die besten Sängerinnen und Sänger aus Bayreuth abzuwerben. Die Reaktion folgte prompt. Heinz Tietjen, der seit 1931 die berühmten Festspiele auf dem Grünen Hügel künstlerisch leitete, stellte den Umworbenen ein Ultimatum: entweder Bayreuth oder Zoppot. Geschickt wie Tietjen war, gab er ihnen während der Probenzeit so viel Arbeit, dass sie keine Zeit für Gastauftritte hatten. Seine Vertraute Winifred Wagner verbot ihren beiden Söhnen Wieland und Wolfgang, zu den Zoppoter Festspielen zu fahren, obwohl sie dort eingeladen waren. Der Wettstreit fand 1944 in den Wirren des Zweiten Weltkriegs jäh ein Ende. Die Zoppoter Waldoper war Vergangenheit.
Baltic Opera Festival: Die Tradition wiederbeleben
In neuem Glanz erstrahlt die Naturbühne in diesem Sommer beim Baltic Opera Festival. Und die einstige Rivalität ist beigelegt. Das viertägige Festival findet eine Woche vor den Bayreuther Festspielen statt, so dass es zu keiner Terminüberschneidung kommt. Und Katharina Wagner gehört zu den Mitgliedern des Ehrenkomitees der Veranstaltung. Neben ihr konnten Direktoren renommierter Kulturinstitutionen und weltberühmter Opernhäuser wie der Metropolitan Opera, des Teatro alla Scala, der Wiener Staatsoper und des Opernhauses Zürich für das Amt gewonnen werden. Diplomaten und bekannte Persönlichkeiten aus der Musikwelt Polens und Europas unterstützen die Idee der wiederbelebten Tradition. Das Festival wird unterstützt vom polnischen Kulturministerium, dem polnischen Mineralölkonzern PKN Orlen, dem Dal Segno Institute und dem NCK.
Aktiver musikalischer Partner ist die Baltische Oper in Danzig, die unter der Leitung von Marek Janowski Orchester, Chor und Tanzensemble stellt. Am 15. und 17. Juli steht Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ auf dem Programm. Andrzej Dobber tritt in der Titelrolle auf, ferner Ricarda Merbeth (Senta), Franz Hawlata (Daland), Dominik Sutowicz (Steuermann), Stefan Vinke (Erik) und Małgorzata Walewska (Mary). Regie führen Łukasz Witt-Michałowski und Barbara Wiśniewska nach dem szenischen Konzept des künstlerischen Leiters des Festivals Tomasz Konieczny.
Eröffnet wird das Festival von einer raren Spezialität, der Operette „Die Männerlotterie“ oder „Der Bräutigam Nr. 69“ des polnischen Komponisten Karol Szymanowski. Auch hier folgt man der Tradition, neben Wagner etwas eher Leichtfüßiges zu bieten. So stand seinerzeit unter anderem „Der Zigeunerbaron“ von Johann Strauß (Sohn) auf dem Programm. „Die Männerlotterie“ wird in der nahegelegenen Baltischen Oper in Danzig aufgeführt. Als Solisten treten unter anderem der Tenor Tomasz Kuk (als Fabrikbesitzer Tobiasz Helgoland) und die Sopranistin Magdalena Barylak (als Mrs. Troodwood) auf. Beide sind außerdem bestens mit Wagner-Partien vertraut. In der Produktion von „Tannhäuser“ im Jahre 2018 in Krakau sangen sie Tannhäuser und Elisabeth.
Filmmarathon und mehr
Ein Filmmarathon am 16. Juli rundet das Festival ab. Marathon ist der richtige Begriff: Das vielfältige Programm beginnt bereits um 15 Uhr und endet nachts gegen 2 Uhr. Unter anderem ist eine Aufzeichnung von Stanisław Moniuszkos Nationaloper „Halka“ unter der Regie von Mariusz Treliński zu sehen, deren Premiere 2019 am Theater an der Wien stattfand. Der Opern- und Filmregisseur wird persönlich anwesend sein, und das aus einem ganz speziellen Grund: Eine halbe Stunde vor der Aufführung steht er für die Fragen des Publikums zur Verfügung.
Noch mehr über den Schaffungsprozess erfahren die Besucher bei Mariusz Wilczyński, der live einen Animationsfilm kreieren wird. Der 1960 in Łódź geborene Regisseur, Maler und Performancekünstler, dessen Werke unter anderem im Rahmen einer Retrospektive im New Yorker MoMa gezeigt wurden, wird musikalisch begleitet von Marcel Markowski. Der Cellist interpretiert Bachs Cellosuite in h-Moll und das Stück „Gebet“ des polnischen Bluesgitarristen Tadeusz Nalepa. Doch der Marathon hat noch viel mehr zu bieten. Neben Filmen gibt es Live-Musik, Workshops für Kinder, Vorträge und Treffen mit Künstlern.