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Telemann-Festival in Hamburg

Aus der Finsternis gezogen

Zum krönenden Abschluss des Jubiläumsjahrs zum 250. Todestag des Komponisten lockt das Telemann-Festival mit erstklassig besetzter Vokal- und Instrumentalmusik

vonSören Ingwersen,

Qualität statt Quantität, lautet eine oft zitierte Forderung, wenn es darum geht, die Güte einer Arbeit oder eines Produkts zu sichern. Als wenn diese beiden Eigenschaften sich kategorisch ausschließen würden. Auch ein Komponist wie Georg Philipp Telemann geriet posthum in Verruf, weil er so produktiv war, dass man sich rund 200 Jahre gar nicht mehr die Mühe machte, genau hinzusehen, welche Schätze des Hamburger „Director Musices“ in den Archiven schlummerten.

Telemanns Zeitgenossen dagegen verehrten den Barockkomponisten wie keinen zweiten: „Wie viele Jahre wäre vielleicht die Music in Deutschland nicht noch elend und erbärmlich geblieben, wenn kein Telemann aufgestanden, der durch sein göttliches Genie und durch seinen überaus großen Fleiß die Music aus der Finsterniß herausgezogen, und ihr einen ganz anderen und neueren Schwung gegeben?“, liest man in einem Kondolenzschreiben des Komponisten Johann Heinrich Rolle anlässlich des Todes Telemanns im Jahre 1767.

Galionsfigur des „gemischten Geschmacks»

Als musikalische Lichtgestalt wurde Telemann aber nicht nur in Deutschland gefeiert. Die damaligen Bestelllisten seiner Tafelmusik enthalten Namen aus ganz Europa. Umgekehrt führt der findige und immer neugierige Komponist in seinem Werk Stile aus ganz Europa zusammen, verbindet italienische Sanglichkeit mit französischer Tanzmusik, deutscher Formstrenge und polnischer Folklore und wird so zur Galionsfigur des sogenannten „vermischten Geschmacks“, des „goût mélangé“ – obwohl Telemann selbst sehr sesshaft war und die letzten 46 Jahre seines Lebens fast ausschließlich in Hamburg verbrachte.

Zu Ehren des Jubilars stellen nun der NDR und die Hamburger Elbphilharmonie ein Telemann-Festival mit 16 Veranstaltungen auf die Beine. So führen das französische Barockensemble Les Talens Lyriques und Mezzosopranistin Ann Hallenberg in der Laeiszhalle Telemann-Arien im Stile Lullys mit einer Kantate und einer Suite Rameaus zusammen, von dessen Oper „Castor et Pollux“ Telemann nach seinem achtmonatigen Aufenthalt in Paris in den Jahren 1737/38 noch Jahrzehnte später schwärmte.

Der Duft aristokratischer Salons auf dem Telemann-Festival

Als Artist in Residence betrachtet der französische Cembalist Jean Rondeau den Jubilar von vier verschiedenen Seiten: Mit einem Solo-Konzert sorgt der 26-Jährige für eine Begegnung Telemanns mit seinem Patenkind Carl Philipp Emanuel Bach und dessen Vater Johann Sebastian Bach. Mit seinem Ensemble Nevermind lädt er ins Bucerius Kunst Forum, wo die „Pariser Quartette“ den Duft aristokratischer Salons verströmen. Eine etwas andere Salonatmosphäre bietet der klubähnliche Resonanzraum St. Pauli, wo Rondeau mit den Hausherren vom Ensemble Resonanz zusammentrifft und die Barockmeister Telemann und Bach sich an zeitgenössischen Klängen von Giacinto Scelsi und György Kurtág reiben.

Vollends in der Gegenwart angekommen ist der Jubilar, wenn der Cembalist mit der Sturmfrisur gemeinsam mit der NDR Bigband beim Telemann-Festival dessen Jazzverträglichkeit auslotet. Rondeau selbst ist ein leidenschaftlicher Jazzer am Klavier, weshalb für ihn die Improvisation ein wesentlicher Bestandteil der Barockmusik ist.

„Wer auf Instrumenten spielt, muss des Singens kündig seyn“

Dass Telemann auch über 40 Opern komponiert hat – wer hätte es gedacht? Etwa die Hälfte davon entstand ab 1722 in den 16 Jahren, in denen Telemann die Gänsemarktoper leitete. Zur Eröffnung des Festivals erzählt „Miriways“ in der Laeiszhalle von einem rebellischen Umsturz im alten Persien – eine konzertante Aufführung mit der Akademie für Alte Musik Berlin, die das Festival zwölf Tage später mit dem Singgedicht „Tage des Gerichts“ ausklingen lässt.

„Wer auf Instrumenten spielt, muss des Singens kündig seyn“, lautete Telemanns Credo. Dass er die Vorzüge der menschlichen Stimme zu schätzen wusste, bewies der Komponist auch mit seinen etwa 700 Arien, 46 Passionen, der kaum fassbaren Summe von 1750 Kirchenkantaten und sechs Oratorien. Besondern häufig wurde das Passionsoratorium „Seliges Erwägen des bittern Leidens und Sterbens Jesu Christi“ zu Telemanns Zeit in Hamburg aufgeführt. In der Laeiszhalle bringen das Freiburger Barockorchester und sechs Gesangssolisten das heute selten gespielte Werk wieder zu Gehör.

Hamburg als Musikstadt – Telemann sei dank

Telemanns unermesslich vielseitiges Instrumentalwerk wird exemplarisch veredelt, wenn Flötistin Dorothee Oberlinger und ihr „Ensemble 1700“ sich mit Suiten, Concertos und Duetten wendig durch alle europäischen Nationalstile bewegen. Und ein Orgelkonzert mit Andreas Fischer erinnert an jenen Ort, an dem Telemann seinen Einstand in Hamburg gab: Am Vormittag des 17. September 1721 fand in St. Katharinen erstmals eine Aufführung seiner Kirchenmusik statt.

In den folgenden Jahrzenten ließ der geschäftstüchtige Barockmeister seine Musik in der ganzen Stadt erklingen, auch an bürgerlichen Orten wie dem Drillhaus, dem Eimbeckschen Haus oder dem Konzertsaal „auf dem Kamp“ in unmittelbarer Nähe der heutigen Laeiszhalle. Auch mit seinen sehr unterschiedlichen Spielstätten erinnert das Telemann-Festival daran, dass erst durch Telemann Hamburg zu einer wahren Musikstadt wurde.

Das Ensemble Nevermind spielt Telemann:

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Mehr Informationen

Die Festivaldaten im Überblick:

Telemann-Festival 2017
Zeitraum: 24.11. – 3.12.
Mitwirkende: Akademie für Alte Musik Berlin, Michael Volle, Jean Rondeau, Ensemble 1700, Dorothee Oberlinger, Les Talens Lyriques, I Giardino Armonico, Giovanni Antonini u.a.
Ort: Hamburg

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