Musikfestivals kommen und gehen. Doch es gibt auch Ausnahmen wie die Schubertiade. Seit 1976 bringt sie Vorarlberg unter ihrem Leiter Gerd Nachbauer zum Klingen. Die Konzerte finden im idyllischen Schwarzenberg und im geschichtsträchtigen Hohenems statt. Das Geheimnis dieser Beständigkeit? „Es gibt kein Geheimnis“, verrät Nachbauer lachend. „Eigentlich war es die Idee von Hermann Prey, irgendwo an einem geeigneten Ort das Gesamtwerk von Schubert aufzuführen. Wir haben uns bei meiner während meines Studiums gegründeten Mozartgemeinde in Hohenems kennengelernt, wo ich naiverweise schon von Beginn an alle mögliche Prominenz eingeladen hatte, unter anderem eben auch Prey.“
Somit war das programmatische Konzept festgelegt. Bis heute liegen die Schwerpunkte der Schubertiade auf Lied, Klavier- und Kammermusik, ergänzt durch Orchesterkonzerte (in den Anfangszeiten vor allem mit Nikolaus Harnoncourt, der sein Beethoven– und Schubert-Repertoire größtenteils bei der Schubertiade erarbeitet hat), Lesungen, Vorträge sowie Meisterkurse bedeutender Künstlerpersönlichkeiten.
Weltstars und junge Talente
Festivalzeit ist bei der Schubertiade von April bis Oktober. Mit rund 80 Veranstaltungen und 35.000 Besuchern jährlich ist sie das renommierteste Schubert-Festival weltweit. Innerhalb kurzer Zeit stehen so viele Liederabende mit den besten Interpreten auf dem Programm wie sonst nirgendwo. Doch Gerd Nachbauer geht es keinesfalls nur um Masse: „Man kann nicht Quantität ohne Qualität machen“, erklärt der Kulturmanager, der besonders Generationenwechsel bei den Sängern stets kritisch beobachtet. „Letztendlich gibt es immer einen fließenden Übergang mit kurzen Durststrecken. Erzwingen kann man nichts“.
Doch es sei schon vorgekommen, dass Künstler zwischen Planung und Konzert plötzlich zu Weltstars wurden, wie etwa Cecilia Bartoli oder Jonas Kaufmann, der in den neunziger Jahren noch im kleinen Saal gesungen habe. „Ein paar Jahre später war er wieder bei uns, aber der Kartenverkauf lief ganz zäh an. Dann kam der Plattenvertrag, und als er im Juni sein Konzert hatte, war er der große Star und der Saal brechend voll.“ Die Künstlerliste liest sich wie das Who’s who der Lied- und Kammermusikwelt. Trotzdem haben auch junge Talente die Möglichkeit, sich dem zwar kritischen, aber ebenso begeisterungsfähigen Publikum vorzustellen.
Das Konzept geht auf, denn das Festival war von Anfang an erfolgreich. Das lag zum großen Teil an Hermann Prey, dem künstlerischen Leiter der frühen Jahre. „Er war so populär wie es heute eigentlich kaum ein Sänger ist. Ihn kannte jedes Kind vom Fernsehen“, sagt Nachbauer und gibt außerdem zu bedenken, dass damals die Festivallandschaft insgesamt noch viel reduzierter gewesen sei. „Daher fiel es sofort auf, wenn ein berühmter Sänger an einem unbekannten Ort wie Hohenems ein Festival aufzieht. Damals gab es ja nur die paar Großen, also Salzburg, Bayreuth, Aix-en-Provence oder Verona. Heute gibt es ja fast überall ein Festival.“
„Traumadresse für Kammermusik“
Am 31. Januar 2022 hätte Franz Schubert seinen 225. Geburtstag gefeiert. Den Auftakt zu diesem Jubiläumsjahr machen in Hohenems The Erlkings, die Schuberts Lieder auf interessante Weise neu interpretieren. In Hohenems, Vorarlbergs jüngster Stadt, trifft Geschichte auf Gegenwartskultur. Einst standen hier die erste Bank, das erste Kaffeehaus und auch die erste Buchdruckerei Vorarlbergs. Das Jüdische Viertel gilt als eines der wenigen lückenlos erhalten gebliebenen Ensembles mit jüdischer Geschichte. Vom gräflichen Renaissancepalast ist es nicht mehr weit zum Markus-Sittikus-Saal mit seiner vielgepriesenen Akustik und erstklassigen Schallisolierung. Heinrich Schiff bezeichnete ihn als „Traumadresse für Kammermusik“, viele bekannte Künstler und Plattenlabels waren in den letzten Jahren regelmäßig für CD-Aufnahmen zu Gast.
Live in Hohenems zu erleben sind in diesem Jahr unter anderem Alfred Brendel, Kit Armstrong, Khatia Buniatishvili, Fazıl Say, Sabine Meyer und Fatma Said. Sehenswert ist im Übrigen auch das Schubertiade-Quartier in Hohenems, dessen Museen während des Festivals geöffnet sind: Franz-Schubert-Museum, Schubertiade-Museum, Elisabeth-Schwarzkopf-Museum, Legge-Museum (mit Stefan-Zweig-Raum), Nibelungen-Museum und Schuhmacher-Museum. Anhand von zahlreichen Dokumenten, Bildern, Hörbeispielen und Videos geben die Häuser Einblicke in das Leben bedeutender Künstlerpersönlichkeiten bzw. beleuchten die bedeutende Kulturgeschichte von Hohenems.
Abendgarderobe und Wanderschuhe
Ein landschaftliches Kontrastprogramm bietet der Sommer. Vom Angelika-Kauffmann-Saal aus, benannt nach der Malerin und Hauptspielstätte in Schwarzenberg, schweift das Auge über sattgrüne Hügel, weidende Kühe und verheißungsvolle Bergketten. Glücklich ist, wer nebst glamouröser Abendgarderobe auch seine Wanderschuhe eingepackt hat, um etwa den Eduard-Mörike-Weg ausgiebig zu erkunden – vorausgesetzt, es findet sich überhaupt Zeit zwischen den Konzerten. Denn besonders in Schwarzenberg kann man schon an nur zwei Tagen in eine komplett andere Welt eintauchen, die nur aus beglückender Musik, saftigem Kaiserschmarren und herrlicher Natur zu bestehen scheint.
Künstler wie Elisabeth Leonskaja, Diana Damrau, Regula Mühlemann, Christiane Karg, Lucas und Arthur Jussen oder Renaud Capuçon geben sich zu Schuberts Ehren hier dieses Jahr – um nur einige zu nennen – die Klinke in die Hand. Am Ende bleibt die Qual der Wahl. Auf die Frage, ob er lieber in Hohenems oder Schwarzenberg sei, antwortet Gerd Nachbauer mit würdiger Diplomatie – und einem kleinen verschmitzten Lächeln: „Beides!“
Termine der Schubertiade 2022:
Hohenems (Markus-Sittikus-Saal)
28. April – 4. Mai 2022
14. – 17. Juli 2022
1. – 9. Oktober 2022
Schwarzenberg (Angelika-Kauffmann-Saal)
18. – 26. Juni 2022
20. – 28. August 2022
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