In seiner Zeit galt er als einer der weltbesten Pianisten. Sein kompositorisches Schaffen jedoch wurde lange vernachlässigt. Nikolaj Medtner, geboren in Moskau, Nachkomme deutscher Vorfahren, emigrierte in den Wirren der Oktoberrevolution nach Berlin. Der Verehrer von Bach, Beethoven und Wagner kam 1880 zur Welt und sei damit „hundert Jahre zu spät geboren“, wie er über sich selbst einmal sagte. Irgendwo zwischen später Spätromantik und dem Beginn der Moderne entzog er sich einer eindeutigen Zuordnung.
„Wow, was war das?“
Als Simon Moser, heute Festivalchef und Mitgründer der Internationalen Nikolaj Medtner Gesellschaft e. V., mit den Pianisten Darya Dadykina und Vasily Gvozdetsky die Programmbeiträge für eine neue Konzertreihe in Baden-Baden besprach, hatte er nie zuvor von diesem Komponisten gehört. Die beiden jungen Musiker brachten einen Stapel alter Noten mit, die kyrillisch beschriftet waren. Und sie fingen an zu spielen. „Wow, was war das?“, brach es aus Moser heraus, der sich noch lebhaft daran erinnert: „Ich war begeistert. Ein enormer musikalischer Fluss, tolle harmonische Folgen, kantige Brüche, komplexe Rhythmen und dramatische Wucht.“
Er stellte ein Medtner-Programm für Baden-Baden zusammen und gründete 2017 die nach seiner Kenntnis weltweit einzige Gesellschaft, die sich dem Leben und Schaffen des 1951 verstorbenen Pianisten widmet, der auch als Komponist stets nach Anerkennung suchte. Sein Œuvre ist im wesentlichen durch Solo-Klavierliteratur geprägt, zudem komponierte er Kammermusik für unterschiedliche Besetzung und rund hundert Lieder nach Goethe, Heine, Puschkin und Nietzsche. Die Krönung seines pianistischen Werkes stellen die drei gewichtigen Klavierkonzerte dar.
Konzerte in „Charlottengrad“
Medtner lebte von 1921 bis 1924 in Berlin-Tiergarten und Charlottenburg, liebevoll „Charlottengrad“ genannt. Etwa 400.000 russische Emigranten fanden seinerzeit hier eine neue Heimat. Es ist also nicht verwunderlich, dass für das Festival, das seinen Namen trägt, einige Spielstätten in der näheren Umgebung gewählt wurden. 21 Künstler und Experten aus neun Ländern gestalten ehrenamtlich eine Woche mit moderierten Konzerten, einem Lecture Recital und dem Format „Experten im Gespräch“. Aber auch Kreuzberg bleibt nicht außen vor. Der Eröffnungsabend im Orania Hotel, dem neuen Hotspot im Zentrum des alten und neuen Szene-Kiez’, beginnt um 20 Uhr. Bereits um 19 Uhr werden besondere Förderer im Salon des Hotels begrüßt.
Auf dem Programm steht Medtners „Nachtwindsonate“ op. 25/2, geschrieben 1910/11, interpretiert von Severin von Eckardstein. Der namhafte Pianist und Gewinner des ARD-Wettbewerbs setzt sich leidenschaftlich für Komponisten ein, die die Zeit vergessen hat. „Wenn wir nur noch Beethoven, Bach, Mozart und Schubert spielen, tun wir – bei aller Größe dieser Musik – doch so viel anderer Musik unrecht“, betont er. „Ich weiß nicht, wie Medtner in zehn Jahren begriffen werden wird, aber seine Musik ist es wert, dass man sie heute spielt.“ Das festliche Abschlusskonzert am 3. November mit jungen Künstlern in der Universität der Künste rundet das Programm ab.
Einlass ist jeweils 30 Minuten vor Beginn der Veranstaltungen. Auf der Website des Veranstalters finden sich Angaben zu den verschiedenen Spielstätten, die von der Kapazität unterschiedlich ausfallen. Ungewöhnlich: Alle Veranstaltungen sind kostenlos! Informieren und rechtzeitiges Erscheinen lohnt sich also. Bei allem ehrenhaften Engagement will solch ein Festival natürlich finanziert sein. Die Stiftung weist deshalb darauf hin, dass Spenden durchaus willkommen sind.
Die Festivaldaten im Überblick:
Festival medtner classics
Zeitraum: 29.10.-03.11.2018
Spielstätten: Orania Hotel, Schwartz’sche Villa, Musikinstrumenten Museum, Museum Villa Oppenheim, Rathaus Charlottenburg, UdK
Ort: Berlin
Mit: Vasily Gvozdetsky, Severin von Eckardstein, Drew Steanson, Darya Dadykina, Alexander Won Ho Kim, Heike Charlotte Päuser u. a.