Das Jubiläumsprogramm springt mit biblischen Psalmen von der Antike über die frühe Neuzeit in die Gegenwart. Die alttestamentarische Lyrik-Gattung mit der hebräischen Bezeichnung „Mizmorim“ gab einem außergewöhnlichen Kammermusik-Festival den Namen. Dieses Außergewöhnlich-Sein ist in Basel, der Schweizer Stadt in Steinwurf-Nähe zu Deutschland und Frankreich, echt schwierig. Denn das Zentrum Alter Musik und Neuer Kunst hat eine pulsierende Orchesterpalette und eine Vielzahl von etablierten bis trendigen Konzertorten. Dieses reiche Potenzial wollte Michal Lewkowicz in der zehnten Ausgabe des von ihr gegründeten Mizmorim Kammermusik Festival vom 24. bis 31. Januar 2024 noch intensiver bereichern. Das Festival soll mehr sein als ein austauschbarer Baustein in der Basler Kulturvielfalt und auch für das regionale Publikum Neues bringen.
Deshalb sucht Michal Lewkowicz immer nach Lücken und frischen Programmfarben. Seit zehn Jahren geht dieses Konzept erfolgreich auf. Aber seit dem Hamas-Angriff am 7. Oktober sind die Herausforderungen auch in der friedliebenden, unabhängigen Schweiz anders. Michal Lewkowicz betrachtet ihre engagierten Bemühungen, mit der Musik Brücken zu bauen, jetzt als noch wichtiger. „Der Antisemitismus nimmt weltweit zu. Jüdinnen und Juden in Israel und in Europa fühlen sich nicht mehr sicher und leben in Angst. Wir sehen es auch als unsere Aufgabe an, einen Teil der jüdischen Geschichte zu vermitteln. Auch und gerade in schwierigster Zeit glauben wir an Austausch, Kommunikation, Gemeinsamkeit.“ Die Veranstaltungsreihe ist mit diesen Ansprüchen so eloquent, dass Lewkowicz keine Änderungen vornahm. Sie hält auch an ihrer im aktuellen Kulturklima erfreulichen Haltung fest: „Ich will in künstlerischer und poetischer Hinsicht mehr extrem sein – nicht jeder kann sich das leisten.“ sagt die Klarinettistin aus Israel. Sie zaubert also ein facettenreiches Programm zu Mizmorim, den Psalmen, und – wie das Motto 2024 lautet – zu „Tehillim“, den 150 Psalmen in der Heiligen Schrift.
Buntes Repertorie und atmosphärisches Ambiente beim Mizmorim Kammermusik Festival
Das Mizmorim-Festival springt also zwischen den Zeiten. Im Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Basel spricht Edwin Seroussi über die angemessene Form der Rezitation von Psalmen. Im Kulturzentrum Gare du Nord erklingt mit dem Mizmorim Festival Ensemble unter dem mehrfach auftretenden Dirigenten Baldur Brönnimann neben „Psalm 151. In memoriam Frank Zappa for Percussion Solo“ von Peter Eötvös die Uraufführung der Auftragskomposition „Glades for Violin and Ensemble“ von Lukas Stamm (Jahrgang 1994). Die andere Mizmorim-Uraufführung gibt es zum Eröffnungskonzert im Stadtcasino Basel mit dem Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO): „Mimma’amaqim for Voice and Ensemble“ von Helga Arias (Jahrgang 1984) steht dort zwischen Leonard Bernsteins „Serenade after Plato’s Symposium for Violin solo, Harp, Percussion and Strings“ und Steve Reichs „Tehillim for Voice and Ensemble“.
Trotz der vielfältigen Foren für Neue Musik in Basel gibt es in deren dortiger Präsenz zwangsläufig Lücken. Deshalb will Michal Lewkowicz möglichst viele Schweizer Erstaufführungen vorstellen. Dazu gehören beim zehnten Mizmorim Kammermusik Festival „Adonay ro’i“, Psalm 23 for Voice and String Quartet von Alexander Uriah Boskovich (1954), György Ligetis „Kineret for Voice and Piano“ (1941), Stefan Wolpes „Psalm 64 for Voice and Piano“ und vor allem Michael Gordons einstündiges „Timber for six percussionists“ (2009) mit dem Percussion Ensemble of the Musik-Akademie Basel in der Druckereihalle im Ackermannshof. Mit genau akzentuierter Gewichtung bietet Mizromim Festival ein Angebot für Heranwachsende und ist auch ein wichtiges Forum für herausragende Talente. Der Stadt- und Kulturraum Basel zeigt sich als atmosphärisches Ambiente für die Begegnungs- und Berührungsanliegen des Mizmorim-Festival. Das Jubiläum ist unter den gegenwärtigen Konstellationen der Weltpolitik erst recht ein wichtiges Plädoyer für Respekt und Toleranz.